Air-Berlin-Insolvenz Lassen Sie sich nicht mit Standardzeugnissen abspeisen

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"Hat sich stets bemüht" - wie die Zeugnissprache sein sollte


Leicht durchschaubar ist genauso, wenn quasi in jedem zweiten Satz das Wort „sehr“ auftaucht. Positive Zeugnissprache zeichnet sich durch die Vielfalt von Bewertungsbegriffen aus: Sehr, besonders, in besonderem Maße, außerordentlich, vorbildlich, beispielhaft, exemplarisch und so weiter. Es ist auch ein Unterschied ob jemand für etwas nur „zuständig“ war oder „verantwortlich“. Allein durch die Art der Sprache kommt eine andere Wertigkeit rüber.

Achten sollte man darauf, dass verschiedene Faktoren mit detaillierten Leistungsbeurteilungen ergänzt werden. Oft haben Zeugnisse nur eine „Note“ über eine zusammengefasste Bewertung am Ende des Textes: „… erfüllte seine Aufgaben jederzeit stets zu unserer vollsten Zufriedenheit“.

Individueller und vor allem aussagekräftiger ist es, in dem fachlichen Kontext positive Leistungsbeurteilungen einfließen zu lassen. Wie zum Beispiel eine Passage aus einem Bankerzeugnis: „Mit einem Gespür für die jeweiligen Kundenbedürfnisse und seiner schnellen Auffassungsgabe meisterte er neue Aufgabenstellungen immer zügig und erfolgreich. Die Qualität seiner Arbeit bewegte sich jederzeit auf hohem Niveau. Entsprechend positiv gestalteten sich durch kompetentes und eigenverantwortliches Vorgehen auch die Ergebnisse der ihm übertragenen Aufgaben“.

Ein Pilot sollte ein anderes Zeugnis bekommen, als ein Flugbegleiter

Es wird bei Umfang und Inhalt sicherlich viel von den unterschiedlichen Positionen und Hierarchieebenen abhängen. Natürlich können sehr ähnliche Aufgaben und Verantwortlichkeiten, wie die der Piloten, Flugbegleiter oder Techniker, inhaltlich ähnlich beschrieben werden. Trotzdem sollte jeder darauf achten, dass sein beziehungsweise ihr Zeugnis ihn oder sie sich wirklich richtig, vollständig und aussagekräftig mit den relevanten Inhalten beschreibt.
Ganz wichtig bei der Zeugnissprache sind aber die Dinge, die gar nicht erwähnt werden.

Was ein gutes und ein schlechtes Zeugnis ausmacht

Bei bestimmten Berufsgruppen oder -bildern gehören Begriffe wie Verantwortungsbewusstsein, Zuverlässigkeit, Disziplin, Belastbarkeit, Sicherheitsorientierung, Vertrauenswürdig, Ansprüche an Qualität, Kundenorientierung, Teamarbeit zwingend in ein Zeugnis. Ein versierter nächster Leser – im Zweifel der nächste Arbeitgeber – wird verstehen, wenn zu erwartende Key Words eines Berufsbildes fehlen.
Gleiches gilt für die berühmte Schlussformel: Je umfangreicher sich hier über den scheidenden Mitarbeiter geäußert wird, umso mehr stärkt das die Botschaften aus dem gesamten Text. Stand sind der Dreiklang: Bedauern, bedanken, wünschen.

Auch im Falle der Insolvenz sollte ein Bedauern ausgedrückt werden, dass das Arbeitsverhältnis enden musste. Wenn das nicht erwähnt wird, liegt auch kein Bedauern vor – das Zeugnis liest sich, als sei man (im Nachhinein) froh, nicht mehr mit diesem Mitarbeiter zusammen zu arbeiten. Wird am Schluss nur bedauert, ohne "sehr", sagt das ebenfalls etwas aus.

Im Idealfall bedauert der Arbeitgeber das Ausscheiden außerordentlich (… wir hätten ihn/sie gerne behalten) und kann es noch toppen, indem es heißt „… kann jederzeit zu uns zurückkehren“ (was natürlich im Falle der Insolvenz nicht funktioniert). Man sieht hier sehr deutliche Unterschiede, die der Laie nicht wahrnimmt – vom Profi sehr wohl registriert werden.

Kennen Sie die Bedeutung folgender Floskeln?

Hier bietet sich noch einmal Gelegenheit, eine qualitative Aussage einfügen. Zum Beispiel kann sich der Arbeitgeber für die wertvollen Beiträge oder wichtigen Entwicklung des Bereiches, in dem der Mitarbeiter gearbeitet hat, bedanken. Bei Führungskräften ist auch ein Dank für „... wertvolle Impulse/Beiträge zum Unternehmenserfolg“ durchaus denkbar. Natürlich darf nicht der Eindruck erweckt werden, dass aufgrund der Sondersituation Insolvenz sogenannte Gefälligkeitszeugnisse erstellt werden.
Ist allerdings aus dem gesamten Text erkennbar, dass wirklich die einzelne Person gemeint ist, und nicht nur Floskeln aneinander gereiht wurden, entsteht dieser Eindruck nicht. Deshalb sollten Mitarbeiter, deren Unternehmen in der Insolvenz oder einer sonstigen Krise steckt, ein adäquates Zeugnis einfordern. Auch wenn es schwer fällt. Frei nach dem Motto: „Wer nicht sagt was er will, bekommt nicht was er will“.

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