Es gibt da eine Kollegin, die ich ein wenig bewundere. Sie verfügt über die Fähigkeit, Teammitgliedern, Vorgesetzten oder Geschäftspartnern in E-Mails auch größere Unverschämtheiten so zu präsentieren, dass die nach der Lektüre denken: „Och, das ist ja nett.“ Bislang dachte ich: Das könnte ich nie. Inzwischen glaube ich: Wer es nicht kann, wird in der modernen Berufswelt krachend scheitern. Kommunikation findet heute häufig schriftlich und elektronisch statt, auch Führungskräfte verlassen sich gerne auf elektronische Helferlein. Theoretisch ist es verlockend, mit seinen Angestellten größtenteils per E-Mail oder SMS zu sprechen. Es spart das langweilige Meeting oder den überflüssigen Jour fixe. Praktisch kommt es dabei zu Pannen.
Elektronische Kommunikation führt fast zwangsläufig zu Missverständnissen. Das zeigt nun auch eine neue Studie. Mahdi Roghanizad von der kanadischen Universität von Waterloo und Vanessa Bohns von der Cornell-Universität in den USA gewannen dafür etwa 100 Studenten. Alle sollten jeweils zehn Fremde dazu bewegen, einen Fragebogen auszufüllen. Doch während die einen ihre Kommilitonen auf dem Campus ansprachen, erhielten die anderen eine Liste mit E-Mail-Adressen. Diese Personen sollten sie schriftlich um den Gefallen bitten. Bevor alle starteten, sollten sie ihre Erfolgsquote schätzen. Und siehe da: Jene Teilnehmer, die auf dem Campus umherspazierten, unterschätzten ihre Wirkung. Sie glaubten, im Schnitt nur fünf Fremde überzeugen zu können, schafften in Wahrheit aber mehr als sieben. Die E-Mail-Gruppe hingegen überschätzte sich. Sie ging davon aus, fünf Fremde überreden zu können, schaffte jedoch höchstens eine Person.
Offenbar sind Menschen auf analogem Wege überzeugender als auf dem digitalen. Erstens unterschätzen die meisten, dass Menschen jemandem nur schwer einen Wunsch abschlagen können, wenn er sie direkt anspricht. Allein schon aus Angst, blöd dazustehen, zeigen wir Empathie.
Die größten Fehler beim Einsatz von E-Mails
„Welche negativen Auswirkungen ergeben sich aus einem unreflektierten Umgang mit dem Medium E-Mail?“ Der E-Mail-Spezialist Günter Weick, der mit seinen Kollegen von SofTrust Consulting seit 2001 die E-Mail-Kultur internationaler Unternehmen gestaltet, nennt in seinem Buch „Wenn E-Mails nerven“ zwölf potentielle negative Nebenwirkungen.
Eine davon ist die Verschwendung von Arbeitszeit. Beratungsgesellschaften beziffern den Wert der verlorenen Arbeitszeit auf mehrere Milliarden Euro jährlich.
E-Mails haben Suchtpotenzial. Auf lange Sicht leisten die Mitarbeiter so in der regulären Arbeitszeit weniger.
Wer sich von E-Mails treiben lässt, ermüdet schneller, wie Studien belegen. Die ständigen Unterbrechungen durch Emails erhöhen das Bournout-Risiko.
Jeder dürfte es schon mal erlebt haben, dass der Text einer E-Mail falsch verstanden wird. Missverständnisse passieren einfach sehr viel häufiger als in direkten Gesprächen. Zudem treten auch fachliche Fehler leichter auf.
Hierarchien haben sich ja nicht aus Zufall gebildet. Wer berichtet was an wen – das umgeht die E-Mail-Kommunikation viel häufiger, als es alle Beteiligten wahr haben wollen. Vielleicht geht der „kleine Dienstweg“ per Email manchmal schneller, aber das geht zu Lasten von Zuverlässigkeit und Qualität.
Anstatt richtig in Prozessen organisiert zu sein, wird vieles immer wieder als Einzelfall betrachtet. Das ist nicht nur aufwendiger, sondern es passieren auch mehr Fehler.
Soziologen und Psychologen sagen, dass jene Menschen, die vor allem elektronisch kommunizieren, die Fähigkeit und das Interesse verlieren, sich mit Menschen direkt auseinanderzusetzen.
Es gibt viele Themen, in den E-Mails einfach die uneffektivere Kommunikationsform sind (siehe Seite 2). Die Geschäftsvorfälle dauern länger als notwendig und erfordern mehr Aufwand. So manches Thema, das sich per E-Mail über Wochen hinzieht, ist in einer Zehn-Minuten-Besprechung vom Tisch.
Das dringende Kleine im Posteingang wird wichtiger als das wirklich wichtige Große. Auch das ist ein Nachteil der E-Mail-Kommunikation. Umso wichtiger ist es, sich da gut zu organisieren.
Es kommt schnell zu einem Realitätsverlust: Mitarbeiter schicken Dutzende E-Mails durch die Gegend und glauben, sie hätten wirklich gearbeitet. Doch wie produktiv sind die meisten E-Mails wirklich? Hat man für das Unternehmen tatsächlich so viel bewegt, wie man in derselben Zeit hätte können?
Wer über weitere Strecken des Tages auf eingehende E-Mails reagiert, hat folglich weniger Zeit zum Agieren. Das frustriert den Einzelnen und bringt dem Unternehmen wenig.
Jeder will E-Mails schnell vom Tisch haben. Also wo immer möglich gilt da die Devise: weiterleiten statt erledigen.
Dieser Vorteil ist bei einer E-Mail dahin. Zweitens: In einem Gespräch von Angesicht zu Angesicht können wir Gestik und Mimik des Gegenübers beobachten und mit dessen Aussagen abgleichen. In einer E-Mail entfallen diese nonverbalen Signale, was Raum lässt für Interpretation – und Missverständnisse. Umso vorsichtiger sollten E-Mails formuliert werden. Erst recht, wenn Vorgesetzte Anweisungen erteilen, Feedback geben oder gar Kritik äußern. Faustregel: doppelt so warmherzig, halb so kaltblütig. Denn was der Sender schon als übertriebene Sanftmut empfindet, kommt beim Empfänger noch neutral an. Will sich der Sender hingegen noch neutral ausdrücken, fühlen sich viele Empfänger schon angegriffen. Das hat mir die Kollegin verraten – in einem persönlichen Gespräch.