Die große Job-Lüge Wie Trump und Co. weiterhin die Wähler täuschen

Donald Trump, Theresa May und manch deutscher Wahlkämpfer versprechen dem „hart arbeitenden“ Mittelschichtsbürger die Rückkehr traditioneller Arbeiterjobs. Dafür müsste nur endlich wieder daheim produziert werden. Das Problem ist nur: Diese Arbeitsplätze gibt es nicht mehr. Auf den Spuren einer großen Täuschung.

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Erst Kollege, dann Konkurrent: Roboter und Mensch Quelle: Scott R. Galvin für WirtschaftsWoche

Wenn Marty Linn den Ort besucht, den es eigentlich gar nicht mehr geben dürfte, überkommt ihn eine tiefe innere Zufriedenheit. Linn, 59 Jahre alt, ein stämmiger, kompakter Mann mit schwarzen Stoppelhaaren und einem grauen Bart, schwingt sich auf ein dreireihiges Golfcart, seine Sicherheitsweste weht im Fahrtwind, während er durch die Hallen des General-Motors-Werkes in Orion im US-Bundesstaat Michigan braust. „Unser Ziel ist es, die Autos dort zu bauen, wo sie verkauft werden“, ruft Linn. Und so geht es mitten durch die Montagestraße, vorbei an der Lackiererei, schließlich hält er vor dem „body shop“, wo die frisch gepressten Blechteile zu einem Fahrzeugskelett verschweißt werden. Hier will Linn die Zukunft zeigen.

Menschen assistieren Maschinen

Die Zukunft ist ein stiller Ort. Keine Arbeiter wuseln herum, niemand unterhält sich, kann sich unterhalten, weil nur ein einzelner Mann zwischen den Maschinen steht. Stattdessen zischt es ab und an, wenn der Robo-Arm heransaust, mit seinen Saugnäpfen einen neuen Fahrzeug-Unterboden anhebt, den ihm der Mitarbeiter mit Ohrstöpseln vorher stumm zurechtgelegt hat. Die Maschine schwingt das Blechteil hinüber aufs Band, wo von oben unablässig Fahrzeugaufbauten vorbeischweben. Noch in der Bewegung beginnt ein anderer Arm die Schweißnaht. Das Ganze dauert nur einige Minuten, dann schwebt die nun komplette Karosserie davon. Die Maschine hat gearbeitet. Der Mensch hat assistiert. So läuft das hier überall.

Marty-Linn Quelle: Logan Zillmer für WirtschaftsWoche

Dabei verbreitet sich in diesen Wochen eine Erzählung in den Gesellschaften Nordamerikas und Westeuropas. Eine Erzählung, die ein gewisser Donald Trump so lange und immer lauter wiederholte, bis sie irgendwann nicht mehr zu überhören war und auch von anderen, weniger umstrittenen Welterklärern übernommen wurde: Es ist die Erzählung von der Rückkehr des Arbeiters in den westlichen Industriestaaten.

Die Mär von der idealen Wirtschaftspolitik

Zusammengefasst geht sie so: Als sich die Industrienationen in den Neunzigerjahren entschlossen, mit aller Welt schranken- und grenzenlosen Handel zu treiben, da bezahlten sie diesen Entschluss mit dem klassischen Job des Fabrikarbeiters, von dem sie jahrzehntelang gut gelebt hatten. Millionen dieser Jobs wanderten in sogenannte Niedriglohnländer ab, nach Osteuropa und Ostasien. Von dort wiederum schickte man – gewissermaßen als Dankeschön – die billig produzierten Produkte in den Westen zurück und setzte dort damit weitere Arbeitsplätze unter Druck. So entstand eine ganze Menge Verlierer. Um sie wieder zu Gewinnern zu machen, müsse man nun einfach die richtigen Politiker wählen, den Handel beenden, und schon kämen die Arbeitsplätze heim aus Übersee.

Wie viele Deutsche Trumps Vorschläge auch bei uns gerne verwirklicht sähen

„Bring back Jobs“, brüllt US-Präsident Donald Trump bei nahezu jedem öffentlichen Auftritt. „Raus aus der EU“, meint auch Großbritanniens Premierministerin Theresa May und frohlockte soeben beim Unterzeichnen des Brexit-Antrags, ihr Land betrete ein neues Zeitalter des Nationalismus, dessen Gewinner die Industriearbeiter sein würden. „Nicht links und rechts“ sei die Frage der Stunde, schimpft Frankreichs Marine Le Pen, sondern die Entscheidung, was man dieser Tage sein wolle: „Patriot oder Globalisierungsbefürworter.“

Und auch in Deutschland predigt SPD-Neu-Ikone Martin Schulz den möglichen Wiederaufstieg des „hart arbeitenden“ Zeitgenossen, wenn die Politik sich nur ausreichend um ihn und seine Arbeitsplätze kümmere. Perplex, vielleicht auch überrascht ziehen die Industriechefs öffentlichkeitswirksam mit. BMW-Direktor Harald Krüger war bei seinem Besuch im Weißen Haus fast devot darum bemüht, die über 9000 Arbeitsplätze anzusprechen, die sein Konzern im US-Werk Spartanburg geschaffen habe – und versprach Milliardeninvestitionen. Schaeffler-Chef Klaus Rosenfeld verwies auf den Standort in South Carolina, den seine Firma seit 1969 habe – da habe man noch viel vor. Und Siemens’ CEO Joe Kaeser schmeichelte Trump: „Thank you for what you are doing.“

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