Wenn Marty Linn den Ort besucht, den es eigentlich gar nicht mehr geben dürfte, überkommt ihn eine tiefe innere Zufriedenheit. Linn, 59 Jahre alt, ein stämmiger, kompakter Mann mit schwarzen Stoppelhaaren und einem grauen Bart, schwingt sich auf ein dreireihiges Golfcart, seine Sicherheitsweste weht im Fahrtwind, während er durch die Hallen des General-Motors-Werkes in Orion im US-Bundesstaat Michigan braust. „Unser Ziel ist es, die Autos dort zu bauen, wo sie verkauft werden“, ruft Linn. Und so geht es mitten durch die Montagestraße, vorbei an der Lackiererei, schließlich hält er vor dem „body shop“, wo die frisch gepressten Blechteile zu einem Fahrzeugskelett verschweißt werden. Hier will Linn die Zukunft zeigen.
Menschen assistieren Maschinen
Die Zukunft ist ein stiller Ort. Keine Arbeiter wuseln herum, niemand unterhält sich, kann sich unterhalten, weil nur ein einzelner Mann zwischen den Maschinen steht. Stattdessen zischt es ab und an, wenn der Robo-Arm heransaust, mit seinen Saugnäpfen einen neuen Fahrzeug-Unterboden anhebt, den ihm der Mitarbeiter mit Ohrstöpseln vorher stumm zurechtgelegt hat. Die Maschine schwingt das Blechteil hinüber aufs Band, wo von oben unablässig Fahrzeugaufbauten vorbeischweben. Noch in der Bewegung beginnt ein anderer Arm die Schweißnaht. Das Ganze dauert nur einige Minuten, dann schwebt die nun komplette Karosserie davon. Die Maschine hat gearbeitet. Der Mensch hat assistiert. So läuft das hier überall.
Dabei verbreitet sich in diesen Wochen eine Erzählung in den Gesellschaften Nordamerikas und Westeuropas. Eine Erzählung, die ein gewisser Donald Trump so lange und immer lauter wiederholte, bis sie irgendwann nicht mehr zu überhören war und auch von anderen, weniger umstrittenen Welterklärern übernommen wurde: Es ist die Erzählung von der Rückkehr des Arbeiters in den westlichen Industriestaaten.
Die Mär von der idealen Wirtschaftspolitik
Zusammengefasst geht sie so: Als sich die Industrienationen in den Neunzigerjahren entschlossen, mit aller Welt schranken- und grenzenlosen Handel zu treiben, da bezahlten sie diesen Entschluss mit dem klassischen Job des Fabrikarbeiters, von dem sie jahrzehntelang gut gelebt hatten. Millionen dieser Jobs wanderten in sogenannte Niedriglohnländer ab, nach Osteuropa und Ostasien. Von dort wiederum schickte man – gewissermaßen als Dankeschön – die billig produzierten Produkte in den Westen zurück und setzte dort damit weitere Arbeitsplätze unter Druck. So entstand eine ganze Menge Verlierer. Um sie wieder zu Gewinnern zu machen, müsse man nun einfach die richtigen Politiker wählen, den Handel beenden, und schon kämen die Arbeitsplätze heim aus Übersee.
Wie viele Deutsche Trumps Vorschläge auch bei uns gerne verwirklicht sähen
Die Deutschen mögen Donald Trump nicht. Nur wenige Prozent hätten für den Republikaner gestimmt, ergaben Umfragen vor der US-Wahl. Doch ist ihnen womöglich nur der Mensch zuwider, nicht sein Programm? Und fürchtet die überwiegende Mehrheit, dass Trump ein gefährlicher Präsident wird? Eine aktuelle Ipsos-Umfrage im Auftrag der WirtschaftsWoche liefert dazu erstaunliche Erkenntnisse.
Auf die Frage, welche Trump-Vorhaben die Deutschen auch hierzulande gerne umgesetzt sähen, antworteten satte 56,3 Prozent, sie wollten die Abschiebung aller illegalen Ausländer.
34 Prozent der Befragten stimmen Trumps Forderung nach mehr Durchgriffsrechten für die Polizei zu.
Immerhin 30,6 Prozent wünschen sich weniger Einkommensteuer.
26,2 Prozent wünschen sich gar eine strikte Einreiseregulierung für Muslime.
Die Ablehnung der Deutschen gegen Freihandelsabkommen wie TTIP oder TPP zeigt sich auch in dieser Umfrage. 19 Prozent sähen auch hierzulande gerne ein Ende/Neuverhandlung der Freihandelsabkommen.
15 Prozent der Befragten sind für den Aufbau engerer Beziehungen zu Putins Russland.
Die Erbschaftsteuer sähen 13 Prozent der Befragten auch in Deutschland gerne abgeschafft.
Immerhin 4 Prozent wünschen sich eine Einführung von (Schutz-)Zöllen für Importe.
Mehrfach drohte der designierte US-Präsident mit dem Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen. Nur 2 Prozent der Befragten sind für einen Austritt beziehungsweise Rückzug aus dem Klimavertag.
17 Prozent der Befragten ist nicht nur die Person Donald Trump zuwider. Auch das Programm des Republikaners stößt auf Ablehnung.
Gemessen an der Ablehnung seiner Person, sehen die Bundesbürger Trumps Rolle in der Welt noch vergleichsweise milde. 57,2 Prozent der Deutschen gehen davon aus, Trump werde vom Weißen Haus aus die Welt politisch destabilisieren.
55,9 Prozent erwarten negative Auswirkungen für Deutschland.
Zu den möglichen Folgen für die USA ist die Skepsis viel größer: Nur 12,2 Prozent sagen, Trump werde die internationale Position seines Landes nachhaltig verbessern.
„Bring back Jobs“, brüllt US-Präsident Donald Trump bei nahezu jedem öffentlichen Auftritt. „Raus aus der EU“, meint auch Großbritanniens Premierministerin Theresa May und frohlockte soeben beim Unterzeichnen des Brexit-Antrags, ihr Land betrete ein neues Zeitalter des Nationalismus, dessen Gewinner die Industriearbeiter sein würden. „Nicht links und rechts“ sei die Frage der Stunde, schimpft Frankreichs Marine Le Pen, sondern die Entscheidung, was man dieser Tage sein wolle: „Patriot oder Globalisierungsbefürworter.“
Und auch in Deutschland predigt SPD-Neu-Ikone Martin Schulz den möglichen Wiederaufstieg des „hart arbeitenden“ Zeitgenossen, wenn die Politik sich nur ausreichend um ihn und seine Arbeitsplätze kümmere. Perplex, vielleicht auch überrascht ziehen die Industriechefs öffentlichkeitswirksam mit. BMW-Direktor Harald Krüger war bei seinem Besuch im Weißen Haus fast devot darum bemüht, die über 9000 Arbeitsplätze anzusprechen, die sein Konzern im US-Werk Spartanburg geschaffen habe – und versprach Milliardeninvestitionen. Schaeffler-Chef Klaus Rosenfeld verwies auf den Standort in South Carolina, den seine Firma seit 1969 habe – da habe man noch viel vor. Und Siemens’ CEO Joe Kaeser schmeichelte Trump: „Thank you for what you are doing.“