Meinungsfreiheit im Job Querdenker riskieren ihre Karriere

Unternehmen stehen auf Querdenker? Von wegen: Im Alltag endet die Meinungsfreiheit oft an der Bürotür. Wer sich dagegen auflehnt, gefährdet seinen Job.

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Querdenker riskieren ihre Karriere Quelle: Illustration: Miriam Migliazzi & Mart Klein

Vor einigen Monaten wollte Gerald Hensel etwas loswerden. Unternehmen, fand der 41-Jährige, sollten erfahren, wenn ihre Werbung auf Seiten mit rechtem Gedankengut auftaucht. Am 23. November 2016 veröffentlichte er einen entsprechenden Text auf seiner privaten Homepage. Und weil Hensel als Werber ein Gespür dafür hat, welche Worte Leser locken, gab er dem Artikel eine plakative Überschrift: „Kein Geld für Rechts“.

Wenig später kam der Hass – in Form von 50 Morddrohungen und 1000-fachen Anfeindungen im Netz. Hensel hatte nicht nur erklärt, warum Unternehmen oft nicht wissen, auf welchen Websites ihre Werbung landet, sondern zudem Seiten genannt, die er persönlich für populistisch und extremistisch hielt und die für darauf werbende Unternehmen zum Problem werden könnten.

Hensel stand zu seiner Meinung, zog aber den konkreten Hinweis auf eine bestimmte Seite kurz darauf zurück. Doch da hatte ihn die Trollarmee schon im Visier – und seinen Arbeitgeber gleich mit. Hensel arbeitete damals als Digitalstratege bei der Werbeagentur Scholz & Friends. Der Netzmob witterte eine Verschwörung und rief dazu auf, Kunden der Agentur zu boykottieren. Hensel verließ das Unternehmen. Freiwillig, wie er sagt.

Heute beschäftigt er sich für die Unternehmensberatung Plot damit, wie Firmen eine eigene Haltung entwickeln und mit veröffentlichten Ansichten der Mitarbeiter umgehen können. Natürlich müsse man sich als Arbeitnehmer bewusst sein, dass die private Meinung im Konflikt zum Unternehmen stehen kann: „Und es ist schwierig, wenn der Arbeitgeber wegen meiner Meinung massive Probleme bekommt.“

Huch.

Behaupten nicht gerade kreative Unternehmen wie Werbeagenturen seit Jahren, dass sie Vielfalt schätzen und Querdenker fördern? Bedeutet das letztendlich nicht auch, dass sie selbst schräge Ansichten akzeptieren müssen, solange diese nicht gegen Gesetze verstoßen? Oder endet die Meinungsfreiheit in Wahrheit an der Büropforte?

Diese Fragen werden neuerdings wieder intensiv und emotional diskutiert – vor allem wegen James Damore. Bis Mitte Juli war der Harvard-Absolvent ein Nobody und hatte einen gut bezahlten Job als Entwickler bei Google inne. Heute ist er weltbekannt und arbeitslos.

Alles begann damit, dass der 28-Jährige in einem Aufsatz auf zehn Seiten unter anderem vermeintliche Gründe dafür auflistete, warum es so wenige Frauen in der Techbranche gibt. Es liege nicht an der Dominanz der Männer, sondern an den Genen der Frauen. Sie hätten mehr Angst, seien weniger stressresistent und interessierten sich zu viel für andere Menschen.

Die Chef-Checkliste zur sozialen Kompetenz

Das hatte Folgen, aber andere als von Damore erhofft: Google-CEO Sundar Pichai unterbrach seinen Urlaub, um den Entwickler zu entlassen. Teile des Manifests, sagte Pichai, verstießen gegen interne Verhaltensregeln und überschritten eine Grenze, da sie Geschlechterstereotypen verbreiteten. Der CEO glaubte anscheinend, damit die Debatte beenden zu können. Tatsächlich befeuerte er sie. Denn der Fall von James Damore wirft eine Kernfrage in modernen Arbeitsverhältnissen auf: Was darf ein Mitarbeiter in welchem Rahmen noch sagen und schreiben – und was nicht?

Früher waren die Grenzen klar definiert. Die Menschen trennten zwischen Beruf und Privatleben – räumlich, aber auch gedanklich. Während der Arbeit standen ihnen keine Kanäle wie Twitter und Facebook zur Verfügung, auf denen sie jederzeit ungefiltert ihre Gemütslage und Gedanken ausbreiten konnten. Man sparte sich seine Meinung für den Küchen- oder Stammtisch auf.

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