Entwicklung von Pisa-Ergebnissen Gegen schlechte Lehrer kann das beste Schulsystem nichts ausrichten

Die Leistungen der finnischen Schüler bei Pisa lassen nach. Schuld soll das moderne Schulsystem sein - ohne Strenge keine Top-Leistungen. Richtig ist: Der Lehrer entscheidet über den Lernerfolg. Auch hierzulande.

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Eine Lehrerin schreibt mit Kreide an die Tafel. Quelle: dpa

Die finnischen Schüler waren immer die Sieger im OECD-Bildungsranking, kurz: Pisa. Doch beim letzten Test im Jahr 2012 trübte sich der Glanz des Bildungswunderkindes ein: Das Land lag zwar immer noch oberhalb des OECD-Durchschnitts und auch noch vor Deutschland, doch in Mathematik belegten die Finnen nur noch Platz zwölf, beim Leseverständnis Platz sechs und in den Naturwissenschaften Platz fünf. "Vergleicht man die Pisa-Ergebnisse Finnlands der Jahre 2003 und 2012 dann sieht man, dass das Land 25 Punkte eingebüßt hat. Das entspricht dem Lernerfolg eines ganzen Schuljahrs", zitierte die Zeitung "Die Welt" Christine Sälzer, nationale Pisa-Koordinatorin von der TU München.

Drei Jahre lang haben sich schlaue Köpfe Gedanken darüber gemacht, woran das liegen könnte. Nun hat Gabriel H. Sahlgren, Leiter des Zentrums für die Erforschung von Markt- und Bildungsreformen (CMRE) der London School of Economics, herausgefunden, was der Grund für den Einbruch der Leistungen ist: Das offene Bildungssystem.

Real Finnish Lessons - ohne Drill lernen Schüler nichts

Die Ergebnisse seiner Forschung hat er in der Studie "Real Finnish Lessons" zusammengefasst. Demnach dauere es zehn bis 15 Jahre, bis sich Veränderungen am Bildungssystem auf die schulischen Leistungen auswirken. Finnland hat sein Bildungssystem in den 1990er Jahren umgestellt vom von autoritärem Frontalunterricht auf ein offenes Setting mit individueller Förderung, Gruppenarbeit, längerem gemeinsamen Lernen. Während der Inkubationszeit fanden die ersten beiden Pisa-Tests statt, nämlich in den Jahren 2000, 2003 und 2006. Und seitdem das neue Bildungssystem der Finnen zu wirken begonnen hat, hat sich laut einem Unicef-Bericht zumindest das Schulklima verbessert. Nur geht es mit den Leistungen der Schüler bergab. So Sahlgrens Theorie.

Die Ergebnisse des Pisa-Tests aus dem Jahre 2009 untermauern den temporalen Zusammenhang. Von Platz eins rutschte die Nation im Jahr 2009 auf Platz drei - und zwar ausgerechnet hinter China und Korea, wo in den Schulen Drill und Auswendig lernen die Regel statt die Ausnahme ist. 2012 sieht es für Finnland noch schlimmer aus, und auch da haben die Asiaten die Nase vorn. Für Sahlgren ist die Sache damit klar: Ohne Strenge und Drill sind Kinder vielleicht zufriedener, bringen aber keine guten Leistungen. Wasser auf die Mühlen derer, die vor der Kuschelpädagogik warnen.

Können Sie diese PISA-Aufgaben lösen?

Doch was ist nun die Konsequenz aus Sahlgrens Erkenntnissen? Soll nun dem offenen Unterrichtsmodellen wieder der Rücken gekehrt werden, wenn selbst die klugen Finnen daran scheitern? Weg mit Ganztagsschulen, weg mit Gruppenarbeiten, her mit dem Unterrichtsmodell der Kaiserzeit? Bloß nicht, sagt Klaus Zierer, Erziehungswissenschaftler und Professor an der Universität Oldenburg. "Wider der Strukturdebatten, denn sie führen nur zu Verunsicherung." Stattdessen müsse man sich auf die pädagogische Expertise fokussieren. "Sie ist entscheidend dafür, ob Lernen stattfindet und Schule erfolgreich sein kann." Kurz gesagt: Ist der Lehrer schlecht, hilft das beste Schulsystem nichts - und umgekehrt.

In einer schlechten Atmosphäre lernt man nichts

Er verweist auf die Erkenntnisse des neuseeländischen Pädagogens John Hattie, der für seine Studie "Visible Learning" mehr als 800 Metaanalysen zum Thema Bildung und Bildungsfortschritt analysiert hat, insgesamt gut 50.000 Einzelstudien mit 250 Millionen Schülern. Eines der Ergebnisse Hatties sei, dass es Freude mache, in einer guten Atmosphäre Leistungen zu erbringen. "Hattie spricht hier von der Haltung, Lernen als harte Arbeit zu sehen, um deutlich zu machen: Lernern erfordert Einsatz, Anstrengung, das Gehen an die eigenen Grenzen - und wenn man diese überwindet, gibt es kein stärkeres positives Gefühl. Arbeit und Freude gehören also zusammen, wenn man sie richtig versteht."

Dagegen sei falsch verstandene Arbeit ein "Drilling and Killing", so Zierer. "Also ein Üben, ohne das Leistungsniveau des Einzelnen zu verstehen und ohne dem Zuübenden einen Sinn zu geben." Nur wenn die Atmosphäre stimmt, macht Lernen Spaß und ist trotzdem kein Spaziergang.

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