Tauchsieder

Max Weber lesen - statt Karriere-Ratgeber

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Der ideale Wissenschaftler

Dass es heute im Silicon Valley wieder Tech-Jünger gibt, die sich vom „Fortschritt“ eine Lösung der Menschheitsprobleme versprechen – Max Weber hätte für sie wohl nicht mal mehr ein müdes, resigniertes Lächeln übrig. „Dass man… in naivem Optimismus die… Technik der Beherrschung des Lebens als Weg zum Glück“ feiert – einen solchen Unsinn wollte er schon in seinem Vortrag vor hundert Jahren am liebsten „ganz beiseite lassen“. Denn „wer glaubt daran? – außer einigen großen Kindern?“

Den idealen Wissenschaftler stellt sich Max Weber im Anschluss an den späten Goethe daher entsagungsvoll und unbedingt enttäuschungsresistent vor: „Was aber ist seine Pflicht? An die Arbeit gehen der Forderung des Tages gerecht werden.“ Im Einzelnen heißt das:

  • Wissenschaft ist Spezialistentum „auf dem Boden ganz harter Arbeit“, so Weber. Wer nicht die Fähigkeit besitze, „sich… Scheuklappen anzuziehen und sich hineinzusteigern in die Vorstellung, dass das Schicksal seiner Seele davon abhängt: ob er diese, gerade diese Konjektur an dieser Stelle dieser Handschrift richtig macht, der bleibe der Wissenschaft nur ja fern“.
  • Wissenschaft verlangt die Ausschaltung aller subjektiven Befindlichkeiten, die Verneinung allen Erlebnishungers: „Persönlichkeit auf wissenschaftlichem Gebiet hat nur der, der rein der Sache dient.“
  • Der immanente Sinn von Wissenschaft liegt darin, dass sie prinzipiell unabschließbar, dass ihre Aufgabe nie vollendet ist: „Jede wissenschaftliche „Erfüllung“ bedeutet neue „Fragen“ und will „überboten“ werden und veralten.

Vor allem aber muss der Wissenschaftler sich selbst abverlangen, kein „Führer“, sondern ein „Lehrer“ sein zu wollen – ein Lehrer, der sich jederzeit bewusst ist, dass der Fortschritt  die Welt nicht (nur) bereichert, sondern auch „entzaubert“ , weil Wissenschaft und Technik den Menschen von der beobachteten Natur distanzieren, ihn sich selbst entfremden – ihm die Möglichkeit nehmen, sich in der Welt als einer durchschauten Matrix aufgehoben zu fühlen.

Weber will der Wissenschaft daher alle Werte austreiben, sie auf strengste Neutralität hin verpflichten: Man habe sich den Pluralismus der Weltanschauungen und Kulturen nach der Ermordung Gottes durch Nietzsche als eine Art Rückkehr zum antiken Götterhimmel vorzustellen, in dem um Ordnungen und Werte gerungen wurde. Die Wissenschaft habe die Unvereinbarkeit der möglichen Standpunkte zum Leben zu akzeptieren, ihre Verhandlung den Propheten und ihre Diskussion den Marktplätzen zu überlassen, sprich: die Entscheidung des Wissenschaftlers für die einen oder anderen „Werte“, unter die er sein Leben zu stellen gedenkt, unbedingt vom Katheder fernzuhalten.

Unabhängig von der seither vieldiskutierten Frage, ob das logisch überhaupt möglich ist: seine Weltanschauung vor den Toren der Universität abzulegen – gerade heutigen Ökonomen, allen voran Michael Hüther etwa oder Marcel Fratzscher, die jeder Statistik einen politischen Spin beimischen, um als ökonomische Zielgruppen-Caterer zu reüssieren, sei die (abermalige) Lektüre des Vortrags von Max Weber dringend ans Herz gelegt.

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