Manche Tage im Büro sind einfach Mist. Dann kommt der Chef kurz vor Feierabend mit einer zusätzlichen Aufgabe vorbeigeschneit, die natürlich mit den Worten „Na klar, sehr gerne“ entgegengenommen wird. Oder der unbeliebte Kollege wird befördert und einem selbst bleibt nur, festzustellen: „Super, ich freue mich total für ihn.“ Und auch die zeitraubende, ergebnislose Besprechung lächeln wir mit einem „eigentlich schon alles ganz okay“ weg. Das ist natürlich Quatsch. Für die Beförderung war man selbst zu faul, auf den unverdienten Karriereschritt des anderen ist man neidisch und über die verlorene Zeit wegen des ewig dauernden Meetings einfach nur wütend.
Wut, Neid und Faulheit vergiften das Klima - oder?
Doch diese Emotionen haben einen schlechten Ruf. Wut, Neid und Faulheit sind die Ausgestoßenen unter den Befindlichkeiten. Es heißt, sie vergiften die Unternehmenskultur, machen unglücklich und damit auch unproduktiv. In klinisch sauberen Bürotürmen gibt es keinen Platz für sie. Wer sie dort auslebt, kann gleich einpacken. Kein Wunder also, dass wir unsere wahren Gefühle im Berufsleben häufig verstecken. Das ist auf der einen Seite auch gut so: Eine gewisse Form der Impulskontrolle ist nun mal eine wichtige Grundlage für zivilisiertes Zusammenleben. Doch die vermeintlich negativen Emotionen gänzlich zu ignorieren ist auch falsch.
Mit wem wir uns im Beruf am häufigsten streiten
Je mehr ein Mensch mit einem anderen zu tun hat, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass sie aneinander geraten. Entsprechend gaben 37 Prozent der Teilnehmer an der Umfrage "Streit - erfolgreich oder folgenreich" der IHK Frankfurt an, sich häufig mit Kollegen beziehungsweise Mitarbeitern zu streiten.
Mehr als ein Drittel gab an, sich häufig mit Führungskräften zu streiten.
Ein Viertel sagte, dass sie häufig mit der Geschäftsleitung aneinander geraten.
23 Prozent streiten sich häufig mit Kunden.
Bei 14 Prozent sind Zulieferer ein häufiger Streitgrund und -partner.
Elf Prozent streiten sich häufig mit Behörden, mit denen sie beruflich zu tun haben.
Jeweils sieben Prozent gaben an, sich mit Gesellschaftern beziehungsweise Kooperationspartnern in die Haare zu kriegen.
Nur drei Prozent geraten häufig mit Kapitalgebern und Banken aneinander.
Dirk Lindebaum, Professor an der Cardiff Business School in Wales, hat zusammen mit Peter Jordan, einem Wissenschaftler an der australischen Griffith-Universität, eine Sonderausgabe des Fachjournals „Human Relations“ zu dem Thema herausgegeben. Er sagt: „Labels wie negativ lenken davon ab, welche Funktionalität die Emotion eigentlich hat.“ Denn wer sich schlecht fühlt, dem signalisiert das Gehirn, dass etwas nicht richtig läuft und einer Änderung bedarf. Dahinter verbirgt sich eine gute Nachricht für alle Neidhammel, Faulpelze und Wutbürger: Wer diese Gefühle richtig deutet und kanalisiert, kann damit sich und auch seinem Arbeitgeber nutzen.
"Wut ist ein Motor"
Mit dem weichen, österreichischen Akzent von Gabriel Diakowski ausgesprochen, klingen auch provokante Sätze freundlich. „Höflichkeit ist oft ein Korsett“, sagt der Gründer der PR-Agentur D wie Denken, „Man formuliert Dinge zu vorsichtig, nur um nett zu sein.“ Für ihn ist diese Form der Diplomatie das Todesurteil für jegliche Kreativität. Sein Gegenmittel ist einfach: „Wut ist ein toller Motor.“ Ein Beispiel: Diakowski und seine Kollegen brüten etwa über einer neuen Kampagne, kommen aber nicht weiter. Dann kann es passieren, dass der Agenturchef die anderen absichtlich zur Weißglut treibt. „Ich will wütende Reaktionen. Daraus entstehen oft die besten Ideen“, sagt er.
Selten hört man Entscheider in der Wirtschaft so offen über Wut sprechen, denn kaum ein Gefühl hat mehr negative Konnotationen. Denkt man an Wut, denkt man auch an Feindseligkeit, Boshaftigkeit und Zerstörung. Und das hat gerade im Job nichts zu suchen. Ein Manager wie der Ex-Lehman-Brothers-Chef Richard Fuld, der aufgrund seiner häufigen Wutausbrüche und der schroffen Art von seinen Mitarbeitern „Gorilla“ genannt wurde, oder der Ausraster von Werber André Kemper, der auf dem Wiener Opernball vor laufender Kamera einen Gast mit einem Faustschlag niederstreckte, wirken wenig kompetent. „Manche weisen Männer haben den Zorn als eine vorübergehende Geisteskrankheit bezeichnet“, schrieb der römische Philosoph Seneca.
Mit Wut zum besseren Menschen
Dabei erfüllt die Wut auch wichtige Funktionen. Zum einen verrät sie uns, was uns wichtig ist. „Jede Emotion hat einen Informationsgehalt“, sagt Lindebaum. Wer sauer wird, dem liegt der Auslöser am Herzen. Zum anderen gibt sie uns Energie zum Handeln. Probleme werden unter Einfluss der Wut schneller und effektiver gelöst.
Und: Sie macht uns sogar zu besseren Menschen. In seiner Forschung beschäftigt sich Lindebaum aktuell vor allem mit der moralisch motivierten Wut – ein Gefühl, dass auftaucht, wenn anderen Unrecht getan wird. „Sie entsteht zum Beispiel, wenn man zuschaut, wie der Chef einen Kollegen für die Fehler anderer verantwortlich macht und man das Bedürfnis hat, einzuschreiten“, sagt Lindebaum. Spricht man die wahrgenommene Ungerechtigkeit an, kann Wut für mehr Fairness am Arbeitsplatz sorgen.