Die Commerzbank will sich komplett neu erfinden. In einem Werkstatt-Gespräch im Juni dieses Jahres kündigte Privatkundenvorstand Michael Mandel den Umbau zur Multikanalbank an: "Multikanal ermöglicht mehr Kunden, mehr Abschlüsse, mehr Ertrag, geringere Kosten und damit eine höhere Profitabilität", sagte er.
Konkret bedeutet das für Deutschlands zweitgrößte Bank: Filialen, Online- und Mobile Banking sowie Kundenservice müssen miteinander verzahnt werden. Der Kunde soll nahtlos vom mobilen Angebot zur Beratung in der Filiale wechseln und das Finanzprodukt letztlich in einer ganz anderen Filiale kaufen können. So wie sich auch im Handel nahtlos online bestellen und vor Ort in der Filiale die Ware abholen lässt. Erste Tests mit Flagship-Filialen seien gut verlaufen, im vierten Quartal soll es offiziell losgehen mit der Verzahnung und dem Umbau. "Die Kunst ist, das gesamte Geschäft am Ende zu digitalisieren", sagte Mandel.
200 Millionen Euro lässt sich die Bank die Digitalisierung ihres Privatkundengeschäftskosten.
So soll das neue Filialnetz der Commerzbank aussehen
Die Commerzbank hat aktuell 1.050 Filialen mit 12.000 Mitarbeitern. Langfristig sollen an zentralen Standorten – an Bahnhöfen, in Fußgängerzonen - 65 bis 100 Flagship-Filialen entstehen, die sich sowohl an Geschäfts- als auch an Privatkunden richten und auch die Vermögensberatung – Stichwort: Wealth Management - übernehmen. Die ersten dieser Filialen wurden in Berlin und Stuttgart getestet. "Das hat im Großen und Ganzen funktioniert", sagte Privatkundenvorstand Michael Mandel. Die nächsten sollen in Bochum, Bremen und Hannover eröffnet werden.
Die klassische Filiale mit einer Kasse sowie den typischen Schalterbeamten und den entsprechenden Beratungsangeboten soll erhalten bleiben.
Zusätzlich soll es reine Beratungsfilialen geben. Geld einzahlen, abheben oder Währungen wechseln geht hier nicht.
In den geplanten Cityfilialen werden Kunden die alltäglichen Bankgeschäfte erledigen können, aber keine Beratung für komplexe Finanzprodukte bekommen. Für eine Baufinanzierung oder Vermögensberatung müssen die Kunden größere Zweigstellen aufsuchen.
Um die technische Umsetzung kümmern sich allerdings keine externen Dienstleister. Die Commerzbank leistet sich eine eigene Design Thinking-Agentur. Das zwölfköpfige Team der Agentur Neugelb, einer hundertprozentigen Tochter der Bank, tüftelt in Berlin und Frankfurt an der Bedienoberfläche und hilft, Produkte für den Kunden zu entwickeln. Dabei geht es um Schnelligkeit und Kreativität: Die Konkurrenz aus der Fintech-Branche macht der Entwicklung Beine. „Die Commerzbank hat erkannt, dass Banken wieder näher an den Kunden heranrücken müssen“, sagt Tobias Kruse, Business Design Director bei Fjord, der Innovationsberatung aus dem Hause Accenture. Und weiter: „Unternehmen aus der Finanzbranche laufen eher Gefahr, Produkte und Dienstleistungen am Kunden vorbei zu entwickeln.“ Damit soll jetzt Schluss sein.
Fintech-Revolutionäre
Über eine App können Anleger ohne Gebühren in Aktien investieren (bislang nur in den USA).
Anleger sollen Wertpapiere künftig direkt über die Blockchain handeln (noch in der Testphase).
Digitale Vermögensverwaltung per Algorithmus auch für Kleinanleger.
Neugelb soll in Zukunft monatlich neue Ideen präsentieren. Geplant sind bisher Banking-Apps, die Überweisungen in zehn Sekunden ermöglichen oder über die sich Ruckzuck ein Konto eröffnen lässt – ohne persönliches Erscheinen in der Filiale. Die derzeitigen Hauptprojekte seien cross-channel-banking-Plattformen und die damit verbundene Stärkung der Marke, erzählt Neugelb- Geschäftsführer Holger Grünwald. „Der Vorteil, eine 100prozentige Tochter zu sein, ist das tiefe Verständnis der fach- in diesem Fall eben bankspezifischen Anforderungen - an eine Agentur.“
Zuvor habe die Bank Userinterfaces und Ähnliches bei einem guten Dutzend Anbieter eingekauft. Das passe aber nicht mehr zur Digitalstrategie. So lag es nahe, eine eigene Design Thinking-Agentur zu gründen, die das übernimmt. „Wir arbeiten eng mit den Kollegen der Commerzbank zusammen und versuchen, regelmäßig alle Fachteams zusammenzubringen, um das Silodenken aufzubrechen“, sagt er. Die Runden dürften natürlich nicht zu groß werden: Sitzen mehr als zehn Menschen an einem Tisch, werde es mit der Entscheidungsfindung kritisch. Grundsätzlich entwickelt Neugelb aber kein Produkt, dass die Mitarbeiter nicht mittragen, nur weil das Management Digitalisierung befohlen hat. Das wäre auch der falsche Weg, wie Kruse sagt: „Leute zu irgendetwas zu zwingen, sorgt nicht für langfristige und nachhaltige Veränderungen. Sie müssen das wollen.“ Im Falle von Neugelb funktioniere das gut, so Grünwald.
Was nicht heißt, dass es gegen das bankeigene Start-up keine Vorbehalte gegeben habe, wie Grünwald zugibt. Um dementgegen zu wirken, habe man den Mitarbeitern den Nutzen von Design Thinking am konkreten Beispiel gezeigt: „Wenn einer ein Problem mit einem Arbeitsablauf oder etwas Ähnlichem hatte, haben wir ganz konkrete Lösungen dafür skizziert.“ Nur Wunder predigen, hilft eben nicht. „In großen Konzernen haben die Mitarbeiter schon viele Methoden kommen und gehen sehen, da muss man schon überzeugen“, so Grünwald.
Dem stimmt auch Kruse zu: „Mitarbeiter müssen erleben, dass Design Thinking nicht nur eine Theorie ist. Deshalb zeigen wir ganz konkret, was wir machen, damit die Mitarbeiter das erleben können. Das führt dazu, dass sie an den Erfolg glauben können.“ Bis 2020 soll der Erfolg nicht nur für die Mitarbeiter, sondern auch für alle Kunden sicht- und spürbar sein. Mandel spricht in diesem Zusammenhang von einem ambitionierten Zeitplan. Und Neugelb? Zunächst wolle man wachsen. Von zwölf, auf vielleicht 50 Mitarbeiter innerhalb der nächsten drei bis vier Jahre. „Noch ist der Anteil der externen Kunden sehr gering, aber wir sind da für Vieles offen“, sagt Geschäftsführer Grünwald. „Wenn etwa eine Anfrage aus der Automobilbranche käme, freue ich mich. Das wäre doch ein Zeichen, dass wir alles richtig gemacht haben.“