Strukturen- und Prozesse Hört auf, die Bürokratie zu verfluchen

Deutschland ist bekannt für seine Bürokratie und viele Unternehmen leiden unter ihr. Doch obwohl alle über die Bürokratie schimpfen, bringt sie auch Vorteile. Sie schafft Ordnung und sorgt für verbindliche Regeln.

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Quelle: dpa

Deutschland ist bekannt für seine Pünktlichkeit, seine Autos – und für seine Bürokratie. Wir wenden sie hierzulande mit Hingabe an und trotzdem schimpfen alle über sie. Für Unternehmen scheint der deutsche Paragrafendschungel manchmal undurchdringlich. Ehe die letzte bürokratische Hürde genommen ist, hat so mancher Manager schon die Machete verzweifelt fallen lassen, um im Bild zu bleiben. Doch das, was wir so gern und oft verfluchen, hat mehr Vorteile, als wir zugestehen möchten.

Bürokratie schützt uns vor Willkür

Von Unternehmern höre ich immer wieder, dass es ein einziger Kampf sei, Anträge auszufüllen, Fristen einzuhalten und auf Bewilligungen zu hoffen. Zugegeben, die Verfahrenswege der deutschen Bürokratie sind mitunter lang und schwer zu durchschauen. Doch sie sorgen gleichzeitig für eine unumstößliche Gleichberechtigung auf dem Markt. Jeder, der bestimmte Vorhaben umsetzen will, muss den gleichen bürokratischen Prozess durchlaufen. Das schafft für alle gleiche Bedingungen, auch für den Mitbewerber.

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Wie groß wäre wohl der Aufschrei, wenn zum Beispie beim Zulassungsverfahren für ein neues Medikament nach Gutdünken statt nach klaren Vorgaben gehandelt würde? Oder wenn die Anforderungen an den Mitbewerber viel geringer wären? Die Zeit, die hier in Bürokratie investiert wird, ist ein Investment in unser aller Sicherheit – und sorgt für faire Bedingungen am Markt. Der Grundgedanke von Bürokratie ist nicht die Hürde, sondern der Schutz. Das sollten wir uns öfter ins Bewusstsein rufen.

Bürokratie zwingt uns zu unserem Besten

Außerdem zwingen uns bürokratisch eingeführte Strukturen sozusagen zu unserem Besten – nämlich vorab zu durchdenken, was wann wie und wo benötigt wird, um das gewünschte Ergebnis zu bekommen. So gibt es im Bereich Human Resources ein klar geregeltes Einstellungsverfahren: von der Stellenausschreibung übers Bewerbungsverfahren bis zur Erfassung von Daten, Vorbereitung des Arbeitsplatzes und Einarbeitung des Neuzugangs. Auf Basis eines bürokratisch geregelten und zigfach erprobten Ablaufs arbeiten verschiedene Abteilungen Hand in Hand. Jeder weiß, was zu tun ist. Ein Vorgehen nach Gutdünken würde deutlich mehr Zeit kosten.

Was ein Mangel an Bürokratie hier bedeutet, durfte ich selbst beim Einstieg in eine neue Firma erleben: Nichts war für mich als Nachfolgerin festgehalten worden. Jeder Mitarbeiter arbeitete in seinem Gebiet nach eigenen Prinzipien. Nicht nur, dass ich jede Information mühsam erforschen und Strukturen neu aufbauen musste. Es waren durch mangelnde Bürokratie auch wichtige Informationen für den Betrieb verloren gegangen. Das kostete nicht nur Zeit und Nerven, sondern auch Geld. Wer auf Bürokratie verzichtet, verzichtet an manchen Stellen eben auch auf ökonomische Nachhaltigkeit.

Bürokratie hilft beim Umgang mit Fehlern und Problemen

Wenn Prozesse aufgrund bürokratischer Anforderungen bereits wohl durchdacht und gut organisiert in der Unternehmensstruktur hinterlegt sind, liefern sie eine hilfreiche Basis für die Arbeit an neuen Projekten oder die Entwicklung neuer Strategien. Denn die Bürokratie sorgt hier für gebündeltes Wissen. Die Vorgabe bestimmter Vorgehensweisen hilft, unnötige Umwege und Stolperfallen zu vermeiden. Das Erfassen und Aufbereiten von Informationen sowie das Pflegen von Statistiken helfen zudem enorm, wenn es darum geht, Fehler festzustellen und zu analysieren.

Wohin würde es führen, wenn wir jeden Fehler ohne Grundlage einordnen und bewerten müssten? Wie würden wir etwas vergleichbar machen wollen? Und wie künftig für seine Vermeidung sorgen? Die Dokumentation ist hier ein wertvoller Helfer. Sie liefert Leitplanken, an denen wir uns orientieren können und hilft, Schlaglöcher zu umfahren, die wir während der rauschenden Fahrt eines Projekts sonst vielleicht übersehen hätten. Auch Probleme lassen sich nach bestimmten Schemata lösen. Das schont Ressourcen, schließlich müssen wir nicht jedes Mal neue Lösungen für bekannte Probleme finden.

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