Familienunternehmen haben Nachwuchssorgen: Nicht nur, weil es oft gar keinen Nachwuchs gibt, der das Unternehmen weiter führen könnte, wenn die Eltern in den Ruhestand gehen. Oft sind Kinder da, die den elterlichen Betrieb aber nicht übernehmen wollen oder können. Das ist kein rein deutsches Phänomen. In Japan sind einige Unternehmen schon dazu übergegangen, den Wunschnachfolger zu adoptieren, damit der Betrieb in Familienhand bleibt.
Ganz so drastisch sind die Maßnahmen in Deutschland nicht, aber die Zukunftsaussichten sind trotzdem mehr als durchwachsen: Laut einer Aussage von Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) finden mehr als 40 Prozent der Unternehmer keinen passenden neuen Chef. Bei klassischen Industrieunternehmen kämen rein rechnerisch sogar fünf Alt-Eigentümer auf einen möglichen Nachfolger.
Zwar geben Studien, wie die der Zeppelin-Universität Friedrichshafen und der Stiftung Familienunternehmen Hoffnung, wonach 75 Prozent der Unternehmerkinder die operative Führung im elterlichen Betrieb übernehmen wollen. Aber wollen und können sind eben häufig zwei paar Schuhe. Und wer mit 16 noch ganz begeistert davon ist, Papas Schreinerei weiterzuführen, will mit 25 vielleicht doch lieber in die weite Welt hinaus. Besonders Töchtern ist das Risiko letztlich oft zu hoch, wie eine Studie der Universität St. Gallen zusammen mit der Unternehmensberatung EY belegt.
So vermeiden Unternehmerkinder Probleme mit der Nachfolge
Töchter oder Söhne müssen sich klarmachen, ob für sie eine Nachfolge infrage kommt – mit allen Konsequenzen: Verantwortung für die Mitarbeiter, hohe Arbeitsbelastung, Leben in der Provinz. Für einen unverstellten Blick empfiehlt sich ein Studium fern der Heimat und Erfahrung in anderen Unternehmen.
Wird die Nachfolge Option, sollte der Junior auf eine Vereinbarung zur Übergabe drängen. Dazu kann auch gehören, welche Kompetenzen er noch erwerben muss. Wer in die Firma ohne Ziel und Zeitplan eintritt, läuft Gefahr, in eine ständige Prüfungssituation zu geraten.
Respekt für das Lebenswerk des Seniors und Sensibilität für seine Situation sind unabdingbar. Dennoch sollte der Junior selbstbewusst für seine Überzeugungen eintreten. Das ist keine Rebellion gegen die Eltern, sondern Mitarbeiter-Pflicht.
Wer seine Geschwister zu übervorteilen sucht, löst eine verheerende Rachedynamik aus. Besser: Der Nachfolger sucht nach Kompensationen, mit denen die Geschwister leben können. Ein schlechtes Gewissen braucht der Nachfolger aber auch nicht haben: Er verschafft den anderen damit auch Freiraum für deren persönliche Entwicklung.
Wenn sich beim Junior ernsthafte Zweifel melden, ob er das Unternehmen fortführen möchte: Raus mit der Sprache! Personalberater wissen: Manager Anfang 40, die nur den elterlichen Betrieb kennen, sind schwer zu vermitteln.
Die endgültige Übernahme verlangt vom Junior genauso eine Selbstklärung wie vom Senior: Bin ich bereit? Habe ich den Mut, mich in eine völlig neue Situation zu begeben? Besitze ich die nötige Kompetenz? Genieße ich das Vertrauen, dass wir das gemeinsam hinbekommen?
Trotz allem kommt ein Verkauf des Familienunternehmens nur für zwölf Prozent aller Seniorgeschäftsführer in Frage.
So kommt es, dass Unternehmen wichtige Kompetenzen bei der Nachfolgeplanung ignorieren, wie die Studie "Strategische Nachfolgeplanung" der Personalberatung InterSearch Executive Consultants zeigt. Demnach beziehen beispielsweise nur vier von zehn Unternehmen relevante Expertisen zur Digitalisierung bei der Nachbesetzung mit ein. Ob jemand IT-Affin, innovativ oder vorwärtsgewandt ist beziehungsweise denkt, ist erst einmal egal. Hauptsache, er nimmt die Zügel in die Hand, wenn der Senior seinen Hut nimmt.
So vermeiden Unternehmer Probleme mit der Nachfolge
Der Rechtsanwalt und Berater Peter May empfiehlt Unternehmern „ab 50“ über ihre Nachfolge nachzudenken. Von den ersten Überlegungen bis zur endgültigen Übergabe an den Junior oder Fremdmanager vergehen Studien zufolge im Schnitt zehn Jahre.
Das Dilemma, dem Unternehmen wie der Familie gerecht werden zu wollen, lässt sich nur durch Offenheit lösen. Die Soziologin Bettina Daser empfiehlt:
1. Alle Nachkommen verdienen eine Chance.
2. Über alle Alternativen ohne Vorbehalte diskutieren.
3. Allen Kindern die Auswahlkriterien bekannt machen.
4. Die Entscheidung diskutieren und begründen.
5. Bewährt sich der Nachfolger nicht, rasch eine neue Lösung suchen.
Die Psychologin Daniela Eberhardt warnt vor dem sogenannten Prinz-Charles-Phänomen: Weil die meisten Familienunternehmer erst im hohen Alter abdanken, bleibt der Nachfolger zu lange im Wartestand. Der Junior erlebt die weisungsgebundene Arbeit aber als Erniedrigung. Um Frust und Knatsch zu vermeiden: Zeitplan machen, der festlegt, wann der Senior das Unternehmen verlässt.
Empfohlen wird ein gleitender Übergang von Senior auf Junior. Aufgaben und Kompetenzen aller Beteiligten müssen dabei stets eindeutig zugewiesen sein. Auch für die Mitarbeiter muss der Wechsel an der Spitze sichtbar sein – etwa, indem der alte Chef sein Büro abgibt.
Die endgültige Übergabe verlangt vom Senior eine lückenlose Selbstklärung, die der Psychologe Arist von Schlippe in vier Fragen gliedert: Habe ich die Bereitschaft, loszulassen? Habe ich den Mut, mich in eine völlig neue Situation zu begeben? Hat der Junior die nötige Kompetenz? Habe ich das Vertrauen, dass wir das gemeinsam hinbekommen?
Doch nicht nur in punkto Digitalisierung hapert es bei den Nachfolgern. Insgesamt seien nur knapp die Hälfte der Konzepte zur Besetzung von Vakanzen mit den langfristigen Unternehmensstrategien abgestimmt. "Angesichts der umfassenden Umwälzungen, die der digitale Wandel mit sich bringt, ist das riskant", sagt Thomas Bockholdt, Managing Partner von InterSearch Executive Consultants. "Wer bei der Nachbesetzung von Top-Positionen die strategische Ausrichtung ausklammert, gefährdet den Erfolg der unternehmerischen Ziele." Heißt: Dann fährt der Betrieb nicht mit Ausscheiden des Gründers vor die Wand, sondern zwei Jahre später. Da wäre verkaufen vermutlich die bessere Alternative.
Bockholdt rät Familienunternehmen grundsätzlich, bei Nachfolgesorgen vor allem im eigenen Betrieb nach Kandidaten Ausschau zu halten. "Selbst wenn es im Unternehmen digitale Fachleute mit Managementqualitäten gibt, werden diese in vielen Fällen schlicht übersehen", sagt er. Denn nur ein Viertel der Firmen schaue auch auf die dritte Führungsebene und hauseigene Experten unterhalb der Vorstandsebene. "Gerade junge Talente mit wertvollem Know-how zur Digitalisierung sitzen oft genau hier." Zudem verfügen Mitarbeiter aus diesen Teilen der Organisation eher über die Offenheit, mit unverstelltem Blick bestehende Geschäftsmodelle zu hinterfragen und althergebrachte Strukturen aufzubrechen.