Deirdre McCloskey "Der Kapitalismus ist zu einer Privilegienwirtschaft degeneriert"

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Christliche Nächstenliebe statt staatlicher Zwang

McCloskeys eigene Werke lesen sich denn auch wie eine Saga. Im vergangenen Jahr entstand der letzte Teil einer Trilogie über das Bürgertum. Es ist eine extensive Hommage an den Liberalismus, der vor mehr als 250 Jahren die Menschheit vom Feudalismus befreite. Anders als andere Ökonomen, die die Initialzündung für die große Wohlstandsmehrung in der Kapitalbildung und dem Aufbau funktionsfähiger Institutionen sehen, stellt McCloskey die Idee von der (unternehmerischen) Freiheit in den Mittelpunkt der Betrachtung. Privateigentum entfalte nur dann segensreiche Wirkungen, wenn Erfolg, Gewinn, Leistung und Unternehmertum gesellschaftlich positiv konnotiert sind, wenn nicht der Neid, sondern die Hochachtung vor dem wirtschaftlichen Erfolg der anderen die Köpfe der Menschen beherrscht. Der Liberalismus lieferte dieses Narrativ, machte den Mentalitätswandel möglich, sagt McCloskey.

Dem zuweilen kalten Image des Liberalismus will sie durch Empathie entgegenwirken: freiwillige Spenden statt Steuern, christliche Nächstenliebe statt staatlicher Zwang.

Diese Ökonomen haben unsere Welt geprägt
Korekiyo Takahashi Quelle: Creative Commons
Korekiyo Takahashi Quelle: Creative Commons
János Kornai Quelle: Creative Commons
Lorenz von Stein Quelle: Creative Commons
Steuererklärung Quelle: AP
Mancur Olson Quelle: Creative Commons
Thorstein Veblen Ökonom Quelle: Creative Commons

Derzeit arbeitet sie an einem Essayband mit dem programmatischen Titel „Was es bedeutet, eine humane Libertäre zu sein“. Mindestens zehn Jahre, hofft McCloskey, könne sie noch intensiv forschen. Wird sie in dieser Zeit den Nobelpreis gewinnen?

Sie selbst sagt: „In den vergangenen Jahren haben zunehmend Ökonomen aus der Kategorie B+ den Preis erhalten. Diese Kategorie, zu der ich mich auch zähle, umfasst etwa 150 Personen. Berücksichtigt man die durchschnittliche Lebenserwartung, haben von ihnen aber nur 40 die Chance, den Preis tatsächlich zu erhalten. Sie können sich also vorstellen, wie jedes Jahr im Oktober ein Haufen älterer Menschen vor dem Telefon sitzt und hofft, einen Anruf aus Stockholm zu erhalten.“

Verdient hat sie den Nobelpreis nach Ansicht vieler Ökonomen allemal. „Ich bin überzeugt, dass McCloskey jedes Jahr unter den Top-Ten-Kandidaten für den Nobelpreis ist“, sagt Walter Block von der Loyola-Universität in New Orleans. „Doch ihre Liebe für den freien Markt könnte dem Preiskomitee ein Dorn im Auge sein.“

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