Norbert Bolz "Erfolgreiche Typen sind immer Spielertypen"

Der Medienphilosoph Norbert Bolz über den Zauber des Zufalls und die Lust am Triumph, über den Flow am Spieltisch und die Gamifizierung der Welt.

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Bei Eltern verpönt, bei Kindern und Jugendlichen umso beliebter - Videospiele. Welchen Stellenwert haben sie inzwischen und welchen nutzen haben sie? Quelle: obs

WirtschaftsWoche: Herr Bolz, der Mensch „ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“, schreibt Schiller. Hat er recht?

Bolz: Unbedingt. Den ganzen Menschen, der nicht in Nützlichkeitskalkülen denkt und nicht von Langeweile zerfressen wird, gibt es nur noch im Spiel. Ein Mensch voller Eros, Leidenschaft und Aggressivität. Ein Mensch, der das Risiko sucht und gewinnen will. Das Siegen ist die antike Gestalt des Glücks, der Triumph – also das, was einem im gemäßigten Geschäftsklima unseres Arbeitsalltags nicht mehr gegönnt wird: über den Gegner zu triumphieren, ihm den Fuß in den Nacken zu stellen.

Und wer das Gewinnen verlernt, verlernt auch das Verlieren?

Verlieren können ist unglaublich wichtig. Bei nichts anderem kann man seinen Charakter besser bilden. Das merkt man an den eigenen Kindern, wenn die Tränen beim „Mensch ärgere dich nicht“ kullern. Das Problem ist, dass das Verlieren in der realen Welt vor lauter Gleichberechtigung nicht mehr vorgesehen ist. Wir leben schon lange in einer Welt, in der für Triumphgefühle und heroisches Erdulden, aber auch für Ruhm und Ehre kein Platz ist. Man darf nicht mehr siegen, wie eine Lehrerin in der Schule mal gesagt hat: Ihr dürft zwar Fußball spielen, aber wir zählen die Tore nicht. Was für ein Unsinn! Denn genau darum geht es im Spiel: um Sieg oder Niederlage.

Die Pädagogin würde Ihnen wahrscheinlich widersprechen: Es geht nicht um Triumph, sondern um Bewegung und das Einüben von Kooperation.

Ach was. Es geht vor allem um Enthusiasmus, Faszination – und darum, dass der Mensch im Spiel aufgehen kann. Für einen Spieler vergeht die Zeit wie im Rausch. Weil er fokussiert ist, ganz bei sich, im Flow des intensiv erlebten Augenblicks. Spielen ist Sein ohne Zeit. In einer Routinewelt, in der man Dinge bloß abarbeitet, ist das eine grandiose Erfahrung: Der Spieler ist so tief ins Spiel involviert, dass er die Welt um sich herum vergisst.

Gilt das Grandiose dieser Erfahrung auch für die Weltflucht eines 14-Jährigen, der vier, fünf Stunden in sein Computerspiel versinkt?

Ich halte es mit Bertolt Brecht: Sport und Spiel nur aus der Perspektive der Pädagogik und Gesundheit zu betrachten ist absurd und lächerlich. Auch ich habe als Jugendlicher „Zeit verplempert“ auf dem Bolzplatz. Na und? Es war das Leben selbst. Im Übrigen: Welche bessere Welt haben wir im Angebot? Wo soll denn die interessantere Wirklichkeit sein, wenn man in langweiligen Vororten und in einem Elternhaus lebt, das in Auflösung begriffen ist? Gerade dann, wenn die wirkliche Welt enttäuschend ist, liegt es auf der Hand, dass man sich in die Spiele flüchtet.

Der Provokateur

Warum steht das Spielen heute in einem schlechten Ruf?

Das habe ich mich auch gefragt. Spielen ist menschlich – nicht zuletzt, weil es uns entlastet. Aber seit dem Siegeszug des Puritanismus und der Arbeitsmoral wird es als Nutzlosigkeit verachtet. Dabei geht es genau darum: Spielen ist unproduktiv, reine Verschwendung. Es wird kein Mehrwert erwirtschaftet, es bleibt kein Rest – und weil ein Spiel immer wieder von vorne beginnt, wohnt ihm auch keine Fortschrittsidee inne. Ist das nicht großartig? Meinen Studenten sage ich immer: Ihr werdet’s nicht glauben, aber für die alten Griechen war Arbeit das Allerletzte. Es ging ihnen um Muße, meinetwegen auch darum, in den Krieg zu ziehen und zu debattieren auf dem Marktplatz, aber vor allem ging es um Sport und Spiel – um erfüllte Muße.

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