Empathie „In Führungsetagen herrscht ein Mangel an Empathie!“

Zu viel Empathie in der Führung? Die meisten Menschen erleben es anders. Eine Replik auf den aktuellen WirtschaftsWoche-Titel.

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Quelle: Getty Images

Da kämpft man Jahrzehnte lang für eine menschlichere, mitfühlendere Arbeitswelt. Und dann kommt die WirtschaftsWoche und fegt alles vom Tisch, mit einem perfekt gemachten Aufmacher – zumindest aus publizistischer Sicht. Ich kann mir gut vorstellen, wie gerade im gesamten Bundesgebiet die Köpfe der systemischen Coaches, gewaltfreien Kommunizierer und klientenzentrierten Berater puterrot anlaufen.

Warum?

Weil es mir bei der Lektüre des Teasers selbst kurz so ging. Nicht, weil die Ausführungen der WirtschaftsWoche im Kern falsch sind (das sind sie nicht).

Zum Autor: Nico Rose ist Diplom-Psychologe und promovierte in Betriebswirtschaft. Im Hauptberuf arbeitet er im Stab des Personalvorstands eines deutschen Medienkonzerns, zusätzlich ist er als Coach und Redner aktiv.

Sondern weil damit ein dezidiert nachrangiges Problem genauso prominent behandelt wird wie ein Missstand, der jedes Jahr enormes betriebswirtschaftliches, vor allem aber menschliches Leid nach sich zieht: In Führungsetagen herrscht ein Mangel an Empathie, kein Überfluss.

Die WirtschaftsWoche hat Recht: Zu viel Empathie kann Menschen lähmen, sie an Entscheidungen hindern. Aber ist das wirklich das Problem? Ist ein Zuviel an Empathie tatsächlich der Grund, warum mangelhafte Führungsqualität in praktisch jeder Studie zu personalwirtschaftlichen Herausforderungen auf dem vordersten Rang landet?

Das wage ich zu bezweifeln – und ich schätze, dass es für jedes Unternehmen, das an einer Art Empathie-Überschuss leidet, zehn oder mehr gibt, die an einem entsprechenden Mangel kranken.

Engagement, Kreativität, Innovationsfreude: Solche Dynamiken entstehen in erster Linie, wenn sich Menschen sicher und wertgeschätzt fühlen.

von Daniel Rettig, Lin Freitag, Kristin Rau

Wenn sie das erleben, was die Harvard-Professorin Amy Edmondson „Psychological Safety“ nennt. Gemeint ist das subjektive Gefühl, innerhalb einer Gruppe „gut aufgehoben“ zu sein; sagen zu dürfen, was man denkt; sich mit Ideen einbringen zu können, ohne Zurückweisung befürchten zu müssen.

Wenn man sich die Ergebnisse von Studien zur Führungsqualität genauer anschaut, sind das aber gerade die Faktoren, die am stärksten bemängelt werden. Mitarbeiter spüren, dass sie „nicht gesehen“ oder „für voll“ genommen werden, dass sie mit ihren Ideen nicht durchdringen und in der Folge Dienst nach Vorschrift machen. All dies ist meines Erachtens keinem Überschuss an Empathie geschuldet – sondern einem Mangel.

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