Dirk Sliwka, Professor für Betriebswirtschaftslehre und Personalwirtschaftslehre an der Universität zu Köln, schlägt in eine ähnliche Kerbe: Er fordert, dass Manager im Angesicht stetig steigender Komplexität wie Forscher agieren sollten. Sliwka empfiehlt Führungskräften, sich mit der offenen Neugier des Nichtwissens an Themen anzunähern – anstelle von vorauseilender Gewissheit. Es geht ihm um ein quasi-experimentelles Vorgehen, geleitet von zu prüfenden Hypothesen anstatt vorgefertigter Meinungen.
Bescheidenheit erfordert Reife
Diese Medaille hat natürlich zwei Seiten: Führungskräfte, die Unsicherheit zeigen können – und Geführte, die mit dieser Offenbarung achtsam umgehen und sie nicht zwangsläufig als Makel deklarieren (das gilt auch für das erweiterte Milieu, beispielweise die anderen Führungspersonen). Fast möchte man sagen, es braucht ein Umfeld aus Menschen, die in der Lage sind, die Begrenztheit ihrer Führungspersönlichkeiten auszuhalten. Wer als erwachsener Mensch immer noch nach dem allwissenden Übervater sucht, vermindert dadurch den Spielraum real existierender Führungskräfte für Echtheit. Bescheidenheit in der Führung erfordert demnach ein hohes Maß an Reife, auf beiden Seiten.
Die Chef-Checkliste zur sozialen Kompetenz
Können Sie sich im "Hier und Jetzt" spürbar auf Ihre Führungsaufgabe einlassen? Sind Sie offen und ansprechbar? Hören Sie aktiv dazu?
Hören Sie sich alle Meinungen an und würdigen Sie die verschiedenen Sichtweisen, bevor Sie sich (vorschnell) ein Urteil bilden?
Stehen Sie hinter dem, was Sie sagen? Können Sie diese Haltung gegenüber dem Team ebenso wie nach außen vertreten?
Bleiben Sie auch in schwierigen Situationen standfest, um Ihr Gegenüber von Ihrem Standpunkt zu überzeugen?
Unterschiedliche Ziel- und Wertvorstellungen führen zwangsläufig zu Konflikten. Erkennen und bewältigen Sie diese Konflikte? Erreichen Sie in Mitarbeitergesprächen konstruktive Lösungen?
Sind Sie in der Lage, Mitarbeiter und Kollegen schnell einzuschätzen und ihre jeweiligen Stärken und Schwächen zu erkennen?
Besitzen Sie das notwendige Einfühlungsvermögen, um Ihre Mitarbeiter zu verstehen und in der Folge leichter von einer Sache zu überzeugen?
Wenn es nicht "rund" läuft: Sprechen Sie das Problem offen an? Stehen Sie hinter ihren Leuten, auch wenn sie Fehler machen?
Verhalten Sie sich integer und folgen Sie im Umgang mit Mitarbeitern und Kollegen den Regeln des Fair Play?
Sind Sie in der Lage, Interaktionen und gruppendynamische Prozesse in Teams aktiv zu gestalten und effizient in und mit Teams zu kooperieren?
Was hätten Unternehmen davon, würden sie Bescheidenheit als Führungskompetenz aktiv förderten? Laut Professor Owens steht die Forschung hier noch am Anfang. Es mehren sich allerdings die Anzeichen, dass bescheidene Führung mit einer Reihe von positiven Konsequenzen bei den Geführten einhergeht, darunter: erhöhtes Arbeitsengagement und mehr Zufriedenheit, gesteigertes emotionales Wohlbefinden und vermehrtes prosoziales Verhalten. Doch sie sorgt auch für positive Veränderung bei dezidiert harten Kriterien, beispielsweise der Wechselbereitschaft von Mitarbeitern.
Wer bescheiden ist, macht sich nicht kleiner, sondern genau richtig groß
Owens bestätigt im Übrigen, dass es Führungskontexte gibt, in denen Bescheidenheit völlig fehl am Platz ist, beispielsweise in Situationen, die in hohem Maße bedrohlich oder von großem Zeitdruck geprägt sind. Spitzfindig lässt sich natürlich fragen, ob fehlende Bescheidenheit an früherer Stelle nicht oft dazu führt, dass für Unternehmen unheilschwangere Situationen gerade erst entstehen. Jüngere Entwicklungen, beispielgebend sei hier die deutsche Automobilindustrie, legen durchaus einen entsprechenden Zusammenhang nahe.
Das Wort Bescheidenheit ist im Deutschen etymologisch verwandt mit dem Bescheid, also einer Mitteilung, welche ausdrückt, „was Sache“ ist. Wer bescheiden ist, trennt sauber zwischen dem, was da ist und was nicht. Es geht gerade nicht darum, uns kleiner machen, als wir sind. Nur eben auch nicht größer. In diesem Sinne ist Bescheidenheit eine enge Verwandte der Authentizität. Das englische Wort „humility“ lässt sich auf den Begriff Humus, also Erde, zurückführen. Wer im besten Sinne bescheiden ist, wirkt geerdet, bietet Halt und fruchtbaren Boden für das Wachstum anderer. Menschen, die es meistern, aus einer solchen Haltung heraus zu führen, dürfen in aller Bescheidenheit stolz auf sich sein.