Unfaire Entlassungen Der Zorn der Übriggebliebenen

Mitarbeiter-Motivation nach Kündigungswelle. Quelle: Getty Images

Joe Kaeser will Siemens rentabler machen, indem er Stellen streicht. Nach ähnlicher Logik setzen viele Unternehmen Leute vor die Tür. Eine neue Studie zeigt: Unfaire Entlassungen können genau das Gegenteil bewirken.

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Wenigstens war die Nachricht ehrlich, die einige Call-Center-Mitarbeiter eines Morgens auf ihrem Schreibtisch fanden: "Aus organisatorischen Gründen haben wir 20 Prozent unserer Belegschaft abgebaut. Wir haben uns dazu entschieden, einige Ihrer Kollegen zu entlassen. Das erlaubt es uns, Kosten zu reduzieren. Die Auswahl der entlassenen Mitarbeiter geschah zufällig."

Jede weitere Begründung blieb der Arbeitgeber schuldig. Er warb nicht damit um Verständnis, dass alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft seien. Und er wies auch nicht darauf hin, dass der Stellenabbau besonders sozialverträglich vonstattenging.

Klar war nur: Wer die Botschaft las, war eben nicht entlassen - und musste danach eine Dreieinhalbstunden-Schicht im Call-Center schieben.

Klingt unfair? Das soll es auch. Schließlich hat Matthias Heinz viel Arbeit investiert, damit die Aktion möglichst ungerecht wahrgenommen wird. "Unser Ziel war es, die negative Botschaft zu senden: Wir bereichern uns auf Kosten der Mitarbeiter", sagt der Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität zu Köln. "Das Verhalten des Arbeitnehmers sollte ganz klar als asozial wahrgenommen werden."

Heinz’ Memo war Teil eines Experiments, dass er zusammen mit den Ökonomen Sabrina Jeworrek (Uni Magdeburg), Vanessa Mertins (Uni Vechta), Heiner Schumacher (KU Leuven) und Matthias Sutter (Max-Planck-Institut für Ökonomik) konzipiert und dessen Ergebnisse er gerade veröffentlicht hat. Die Ausgangsfrage der Forscher lautete: Wie reagieren die Übriggebliebenen darauf, wenn ihre Kollegen auf unfaire Art gefeuert werden?

Die Antwort darauf dürfte derzeit auch Janina Kugel, die Personalchefin des Industriekonzerns Siemens, interessieren. Ihr Chef Joe Kaeser hat gerade zum Kahlschlag angesetzt. 6900 Stellen will er streichen, alleine in Deutschland könnten deshalb 3000 Menschen entlassen werden. SPD-Chef Martin Schulz nannte das „asozial“ – und manch ein Siemens-Mitarbeiter wird diese Einschätzung teilen. Für Kugel entstehen daraus zwei große Herausforderungen: Zum einen wird sie die eigentlichen Streichungen abwickeln müssen. Zum anderen muss sie dabei auch an die Reaktion derjenigen denken, die im Unternehmen verbleiben.

Dem Thema Entlassungen hat sich Matthias Heinz bereits von vielen Seiten wissenschaftlich genähert. Für seine Dissertation las er über zwei Jahre hinweg rund 50.000 Zeitungsartikel über Freistellungen, betriebsbedingte Kündigungen oder Werkschließungen. Immer wenn irgendwo eine größere Zahl von Menschen ihren Job verlor, schaute Heinz genau hin. "Das kann schon deprimierend sein", sagt er. Aber so entstand die Datenbasis für die Analyse eines der unerfreulicheren Aspekte des Arbeitsmarktes.

Im Jobverlust sieht Heinz die "dunkle Seite der schöpferischen Zerstörung", jenem Prozess, mit dem der ökonomische Vordenker Joseph Schumpeter schon im Jahr 1942 die Grundlage der Innovation beschrieb. Wenn neue, bahnbrechende Unternehmen wachsen, welken die Geschäfte der weniger innovativen, bis sie irgendwann völlig verschwunden sind.

Das lässt sich tagtäglich beobachten: Während etwa der Katalogversender Quelle in der Bedeutungslosigkeit verschwindet, blüht der Onlinehändler Zalando auf. Oder ganz aktuell: Während Siemens ein Werk für Gas- und Dampfturbinen in Görlitz schließen will, baut der Konzern in Cuxhaven eine Fertigungsanlage für Windturbinen.

Das Problem daran: Es programmieren eben nicht die gleichen Leute Zalandos Onlineshop, die auch schon den Katalog von Quelle designt haben. Und nicht jeder Arbeiter, der Gasturbinen fertigt, kann seine Fähigkeiten auch in der Windkraft anwenden. Die Folge sind Entlassungen. Und die Folgen der Entlassungen sind oft drastisch.

Welcher Typ Mitarbeiter als Erster gefeuert wird

"Stellenstreichungen sind schlecht für die betroffenen Menschen und ein Riesenschock für die Regionen", sagt Matthias Heinz. Die Forschung habe bislang gezeigt, dass wer einmal gefeuert wurde, auch noch Jahre später weniger verdient als jemand, der dieses Trauma nicht erleidet. Außerdem wiesen die Gekündigten eine höhere Scheidungs- und Suizidrate und ein höheres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf. Selbst ihre Kinder waren schlechter in der Schule.

Dazu verändert es ihre politische Einstellung. Bei den Präsidentschaftswahlen in den USA oder der Abstimmung zum Brexit wählten die auf diese Weise wirtschaftlich Abgehängten in beide Richtungen politisch extremer.

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