Alternative Indikatoren Was Börsenprognosen mit Baukränen, Chinafotos oder Bewegungsdaten taugen

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Gesichtszüge, Bewegungsdaten, Onlinehandel

Emotionen lassen sich bei börsennotierten Unternehmen auch ohne Umwege über Internetmeldungen ablesen. James Cicon von der Universität Central Missouri analysierte mithilfe einer Software in Videoaufzeichnungen die Gesichtszüge der Vorstandschefs der 500 größten US-Konzerne. Entdeckte er Angst in der Mimik der Firmenchefs, war das ein gutes Zeichen für Anleger: Vorstände unter Druck seien hoch motiviert, das würde den Aktienkurs kurzfristig stützen, so die Studie. Ein zufriedener Vorstandschef strenge sich dagegen weniger an, im folgenden Quartal seien daher schlechtere Ergebnisse zu erwarten. Noch ist ein offizieller Mimik-Index Zukunftsmusik. Dass Hedgefonds die Emotionen der Vorstände aber schon auswerten, ist wahrscheinlich.

Wesentlich weiter sind Investoren schon bei der Nutzung von Smartphonedaten: Onlinebestellungen, Bewegungsmuster, Kreditkartentransfers – alles ist Geld wert.

Dienstleister wie die Thasos Group tragen die Daten von App-Anbietern zusammen und bereiten sie für Kunden auf. Das US-Unternehmen soll nach Google und Apple die drittgrößte Datenbank mit Bewegungsdaten von Smartphonenutzern besitzen.

Was diese Datenbank kann, zeigt ein Beispiel aus dem Einzelhandel: Nachdem Amazon im August die US-Biolebensmittelkette Whole Foods übernommen hatte, kündigte der Konzern an, die Preise zu senken. Thasos konnte mithilfe seiner Bewegungsdaten berechnen, dass in der Woche, als Amazon die Preise senkte, 17 Prozent mehr Kunden zu Whole Foods kamen.

Doch Thasos weiß noch mehr – so viel, dass auch Investoren wichtige Schlüsse aus den Bewegungsdaten ziehen können: Fast ein Viertel der neuen Whole-Foods-Kunden kauft sonst bei Walmart ein. Und: Die Preisnachlässe lockten jeweils die wohlhabendsten Kunden der Konkurrenz als Neukunden zu Whole Foods. Ärmere Einkommensgruppen, Hauptklientel von Walmart, hätten sich dagegen nicht zu Whole Foods locken lassen.

Walmart punktet vor allem mit billigen Eigenmarken ohne Biosiegel.

Fazit für Anleger: Amazon wird Walmart bei deren Stammklientel nicht gefährlich. Trotz der Übermacht von Amazon und Whole Foods gibt es noch keinen Grund, die Aktie von Walmart deshalb zu verkaufen.

Für Investoren, die zusätzlich auch noch die anonymisierten Kreditkartenzahlungen der Walmart-Kunden bekommen, dürfte die nächste Präsentation der Quartalszahlen schon kalter Kaffee sein. An diese kostenpflichtigen Daten kommen Profis beispielsweise über die Plattform Yodlee des US-Finanzdienstleisters Envestnet. Dessen Aktie (ISIN: US29404K1060) kann man kaufen, sie ist mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 35 auf Basis des für 2018 erwarteten Gewinns schon relativ hoch bewertet. Falls die für Anfang November angekündigten Quartalsdaten die guten Prognosen bestätigen, könnte es aber noch weiter nach oben gehen.

Eine Alternative ist die französische Criteo. Criteo wertet für Unternehmen Daten aus dem Onlinehandel aus. Mithilfe von Criteos Statistiken schneiden die Produktanbieter Marketingkampagnen und Anzeigen im Internet zielgenau zu, um den Umsatz anzukurbeln. Zu Criteos Kunden gehören unter anderem Adidas, Microsoft und Sony. Wem Einzelaktien zu riskant sind, der kann über Fonds in Unternehmen investieren, die an der Datensammelei verdienen. Der Fonds Edmond de Rothschild Big Data (ISIN: LU1244895394) zum Beispiel ist auf solche Aktien spezialisiert.

Auf lange Sicht dürften die Aktien der Datensammler attraktiv bleiben. Nicht nur die digital gesammelten, sondern auch die ganz simpel per Hand ermittelten Daten sind zunehmend gefragt: So analysiert das Team von Shaun Dawson mittlerweile nicht mehr nur die Londoner Baugruben, sondern auch die in Manchester und Paris. Und die Expansion geht weiter. Dawson plant schon die erste Kransuche in Dublin.

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