Alternative Indikatoren Was Börsenprognosen mit Baukränen, Chinafotos oder Bewegungsdaten taugen

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Stromproduktion und Twitter-Indizes

Für Europa ist der Wetterindex NAO entscheidend. Er misst den Luftdruckunterschied zwischen den Islandtiefs und den Azorenhochs auf dem Nordatlantik. Ist der NAO-Index positiv, wird das Wetter in Europa mild und feucht. Bei stark negativen NAO-Werten sind kältere Winter und geringere Niederschläge zu erwarten. 2010 etwa, als der NAO bei minus 2 Punkten notierte, verdorrte das Getreide – und der Weizenpreis an der Terminbörse Matif verdoppelte sich. Aktuell liegt der NAO bei minus 0,6. Für Investoren ist das Signal nicht klar genug. Ohnehin sind Wetten mit Lebensmitteln ethisch umstritten, Zertifikate auf Weizen bieten nur noch wenige Banken an.

Mehr Erfolg ohne schlechtes Gewissen versprechen Energiewetten, machbar mit Realtime-Daten aus dem Stromnetz, die Aufschluss über das aktuelle Stromangebot geben. Dienstleister wie die amerikanische Genscape pachten bei Bauern Wiesen- oder Ackerstücke nahe von Kraftwerken und platzieren dort Geräte, die die elektromagnetischen Felder der Stromleitungen messen. So verschafft sich das US-Unternehmen etwa Einblick in die Stromproduktion des Kohlekraftwerks Moorburg in Hamburg. Anders als RWE stellt Vattenfall, Betreiber von Moorburg, seine Daten nicht nahezu live, sondern erst mit mehreren Tagen Verzögerung ins Internet.

„Ein Messgerät braucht nicht mehr Platz als eine Regentonne“, sagt Christian Kunze, heute Energieanalyst beim Norwegian Center of Expertise. Mit seinem Unternehmen Powermonitor hat er früher selbst Stromdaten gesammelt. Landwirte, denen die Kraftwerke suspekt waren, hätten bereitwillig Land verpachtet, den Stromanbietern aber passte es nicht, dass jemand aus ihren Daten Kapital schlagen wollte. Ein Energiekonzern verklagte ihn sogar, vergeblich: Kunze mache das Gleiche wie jemand, der sich vors Tor eines Autobauers stelle und die Fahrzeuge zähle, kommentierte das Landgericht Heilbronn.

Die Daten laufen direkt auf die Bildschirme von Stromhändlern und Finanzinvestoren. „Geld lässt sich damit vor allem in Osteuropa verdienen, wo die Energiemärkte weniger transparent sind als in Deutschland“, sagt Kunze. Privatanleger können auf den Strompreis mit einem Zertifikat auf den Strom-Future wetten (ISIN: DE000VT14PX2).

Baltic Dry Grafik

Wetten auf Strompreise sind in der Regel nur etwas für Profis. Alternative Daten lassen sich jedoch auch für Aktieninvestments nutzen. Das Bonner Unternehmen Stockpulse etwa wertet Meldungen über Dax-Konzerne im Internet aus und kauft wöchentlich Aktien der Unternehmen, über die im Netz stark positiv berichtet wird. In den vergangenen vier Jahren liefen die positiv bewerteten Aktien in der darauf folgenden Woche besser als der Dax, während die negativ bewerteten Aktien schlechter liefen.

Die meisten positiven Nachrichten im Netz produzierte Chiphersteller Infineon. Der Lohn: seit Januar 2013 plus 247 Prozent. Stahlkonzern Thyssenkrupp dagegen war die unbeliebteste Aktie und machte nur magere 25 Prozent plus. Zum Vergleich: Der Dax legte im gleichen Zeitraum 67 Prozent zu. Noch sind das jedoch nur Modellrechnungen. Derzeit verhandeln die Stockpulse-Gründer Stefan Nann und Jonas Krauss mit Fondsgesellschaften über ein Indexprodukt.

In den USA gibt es bereits Indizes, die auf Twitter-Meldungen basieren. So wertet der US-Datensammler Isentium, eine Tochter der Investmentbank JP Morgan, täglich mehrere Millionen Nachrichten aus den sozialen Medien aus. Ist die Stimmung vor einem Handelstag in Summe positiv, werden zum Börsenstart Indexfonds auf den S&P 500 gekauft, ist Tristesse angesagt, werden Indexfonds auf den S&P 500 verkauft.

Die jeweilige Position wird am Ende des Handelstages wieder aufgelöst. Der Index JP Morgan Isentium Sentiment bildet diese Handelsstrategie ab. Ziel ist es, den konventionellen Aktienindex S&P 500 abzuhängen. Bis 2015 hat das gut geklappt, danach allerdings ist der Vorsprung komplett abgeschmolzen. Grund dafür könnte sein, dass Twitter unter den sozialen Medien an Bedeutung verliert.

„Anders als bei vielen US-Unternehmen machen Twitter-Nachrichten bei deutschen Titeln nur einen kleinen Teil des Datenstroms aus, den Stockpulse auswertet“, sagt Gründer Nann. Damit seien die Bonner weniger von einer schwindenden Relevanz von Twitter abhängig, hofft er.

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