Härteklausel beschäftigt BGH Letzte Hoffnung für gekündigte Mieter

Wenn der Vermieter die Mietwohnung für sich oder seine Familie braucht, ist die Sache eigentlich klar: Der Mieter muss normalerweise ausziehen. Was aber, wenn dieser alt und krank ist?

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Fünf kuriose Mietrechtsurteile
Chevrolet Corvette Stingray Quelle: Chevrolet
Das große KrabbelnUngeziefer in den eigenen vier Wänden ist ein Graus. Ein Mieter trieb es dem Amtsgericht Köln allerdings zu bunt: 27 Ameisen protokollierte der geflissentliche Mieter in seiner Wohnung – über einen Zeitraum von einem halben Jahr. Er erhob Anspruch auf Mietminderung, denn er befürchtete, die 27 Sechsbeiner seien Späher, die die eigentliche Invasion der Ameisen erst vorbereiteten. Das Gericht sah das anders und wies die Klage ab (Urteil des AG Köln; Az: 213 C 548/ 97). Quelle: Fotolia
Wenn der Hahn zu laut krähtDas morgendliche Krähen eines Hahnes mag so mancher angenehmer finden als einen Wecker. Eine Mieterin aus der Samtgemeinde des niedersächsischen Zeven sah das allerdings anders. Sie war durch die Lärmbelästigung des frühen Vogels so genervt, dass sie vor das Amtsgericht zog. Man dürfte glauben, dass dieses auf die Natur des Hahns verweisen würde, der nun mal morgens kräht. Doch weit gefehlt: Der Beklagte wurde verurteilt, die Hähne auf seinem Grundstück so zu halten, dass deren Krähen für die Klägerin in der Zeit von 20 Uhr bis 7 Uhr werktags und bis 8 Uhr samstags sowie an Sonn- und Feiertagen nicht hörbar ist (Urteil des AG Zeven; Az. 3 C 216/00). Quelle: Fotolia
Pizza sattJeder liebt Pizza - bis auf einen Mieter aus Köln, der seine Miete mindern wollte, weil der Geruch aus der benachbarten Pizzeria für ihn eher ein Ärgernis denn ein Wohlgeruch war. Dem wollten die Richter genau auf den Grund gehen und schickten einen Gutachter – mit dem Ergebnis, dass auch diesem nach 15 Minuten schlecht wurde und eine Mietminderung von 15 Prozent für rechtmäßig erachtet wurde. Ob es die Pizzeria noch gibt, ist nicht bekannt (AG Köln WuM 90, 338). Quelle: Fotolia
Stetes Plätschern höhlt den SteinBei diesem Fall haben die Richter sicherlich nicht schlecht gestaunt: Ein Mieter fühlte sich vom Toilettengeräusch seines Nachbarn belästigt und klagte darauf, dass dieser sich zukünftig hinsetzen solle. Das Gericht betrachtete dies aber als zu starken Eingriff in die Privatsphäre und urteilte, dass man niemandem vorschreiben dürfe, wie er seine Toilette zu benutzen habe (Urteil des AG Wuppertal; Az. 34 C 262/96). Quelle: Fotolia

Es ist einer dieser Fälle, in denen das persönliche Gerechtigkeitsgefühl so recht zu keinem Ergebnis kommt. Eine junge Familie im eigenen Haus will nicht länger vermieten, um mehr Platz zum Leben zu haben. Dafür müsste ein betagtes Ehepaar ausziehen, das nicht im Altersheim landen will. Wessen Interessen wiegen schwerer? An diesem Mittwoch hat das nun der Bundesgerichtshof (BGH) zu klären.

Woran entzündet sich der Konflikt?

Die Vermieter-Familie mit zwei kleinen Kindern findet ihre Wohnung im ersten Stock zu beengt. Damit sie sich das Eigenheim nach ihren Bedürfnissen umgestalten kann, sollen die Mieter im Erdgeschoss nach 20 Jahren ausziehen. Aber das Ehepaar weigert sich. Die Frau, selbst noch rüstig, begründet das mit dem schlechten Gesundheitszustand ihres 1930 geborenen Mannes. Ein Wohnungswechsel würde dessen beginnende Demenz verschärfen, sagt sie. Realistischerweise komme für ihn nur noch der Umzug ins Altersheim infrage. Dort habe sie aber nichts zu suchen. Komme es hart auf hart, bleibe ihr nur, trotzdem mitzuziehen - oder mit ihrem Mann nicht länger zusammenzuleben.

Welche Regeln gelten für solche Interessenskonflikte?

Grundsätzlich sind Mieter davor geschützt, dass ihnen einfach so die Kündigung in den Briefkasten flattert. Ein legitimer Kündigungsgrund ist allerdings Eigenbedarf: Ändern sich die Lebensumstände des Vermieters, soll es ihm offenstehen, seine eigenen vier Wände selbst zu beziehen oder dort etwa das erwachsene Kind oder die verwitwete Mutter unterzubringen. Eigenbedarf darf nicht vorgetäuscht sein, um missliebige Mieter loszuwerden. In dem Streit vor dem BGH haben die Gerichte der Vorinstanzen aber keine Zweifel daran gehabt, dass es der Familie Ernst ist mit ihren Ausbau-Absichten. In solchen Fällen bleibt den Mietern eine letzte Hoffnung - die Sozialklausel.

Was hat es mit dieser Sozialklausel auf sich?

In Paragraf 574 des Bürgerlichen Gesetzbuchs steht, dass ein Mieter die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen kann, wenn das Ende „eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist“. Das kann der Fall sein, wenn „zu zumutbaren Bedingungen“ keine neue Wohnung zu finden ist, wie es im Gesetz heißt. Eine besondere Härte kann aber beispielsweise auch vorliegen, wenn jemand schon sehr lange in der Wohnung lebt, die Mieterin bald ein Kind erwartet oder eine wichtige Prüfung bevorsteht. Schwere Krankheit, hohes Alter oder andere körperliche Einschränkungen können ebenfalls Gründe sein. Der Verlust von Bekannten oder ein Schulwechsel sind nicht gravierend genug.

Was passiert, wenn so eine „Härte“ vorliegt?

Landet der Streit vor dem Richter, kann dieser anordnen, dass das Mietverhältnis weiter zu bestehen hat. In manchen Fällen - wie bei einer Schwangerschaft oder vor einem Examen - wird das nur einen Aufschub bedeuten, denn die Hinderungsgründe gelten nur für den Moment. Damit einem alten oder dauerhaft kranken Mieter der Umzug erspart bleibt, kann das Mietverhältnis aber auch auf unbestimmte Zeit verlängert werden. „Für den Eigentümer ist das immer schwierig“, sagt Inka-Marie Storm, Chefjustiziarin von Haus & Grund Deutschland. Denn auch er habe ein Interesse, seine Räumlichkeiten zu nutzen.

Wer hat in dem Konflikt vor dem BGH bessere Chancen?

Das ist schwer vorauszusagen, denn letztlich läuft es immer auf eine Abwägung im Einzelfall hinaus. In der Vergangenheit waren einige Gerichte der Ansicht, dass gesundheitliche Belange vorgehen. „Wenn der BGH das bestätigen und so einen Grundsatz aussprechen würde, wäre das sicherlich hilfreich für viele andere Entscheidungen“, sagt Ulrich Ropertz, Geschäftsführer des Deutschen Mieterbunds. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem sehr ähnlichen Fall allerdings 1993 festgestellt, dass ein Richter den „existenziellen Belangen einer vierköpfigen Familie mit zwei kleinen Kindern“ Vorrang „vor den Interessen auch eines erheblich kranken Mieters“ geben kann. Solange die Belastungen für den Mieter durch eine begleitende Behandlung abgefedert werden könnten, verstoße das nicht gegen die Verfassung.

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