Europas Versicherer im Stresstest Das 160 Milliarden-Risiko

Zwei Männer wechseln am 24.06.2014 an der Fassade eines Geschäftshauses in Kassel (Hessen) einen Teil des Schriftzuges «Versicherungen» aus. Foto: Uwe Zucchi /dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++ Quelle: dpa

Der neuerliche Stresstest der Versicherer offenbart ein düsteres Bild für die Branche. Dafür haben die Aufseher extreme Szenarien gewählt. Die Branche selbst sieht sich hingegen für die Zukunft gut gerüstet.

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Die elementaren Probleme der Versicherer sind seit geraumer Zeit bekannt. Hohe Kosten für Digitalisierung und Regulierung belasten auf der Ausgabenseite, hinzu kommt eine Zinspolitik der Europäischen Zentralbank, mit der sich auf der Einnahmenseite kaum noch Erträge für die lang laufenden Lebensversicherungen erzielen lassen. Die europäische Versicherungsaufsicht Eiopa hat deswegen wieder einmal getestet, ob die Assekuranzen langfristig überhaupt in der Lage sind, ihren Verpflichtungen gegenüber den Kunden nachzukommen.

Das Ergebnis, das am Donnerstagabend in Frankfurt präsentiert wurde, ist ernüchternd – auch wenn hier natürlich Extremsituationen durchgespielt werden. Wie damals schon haben die Experten dabei zwei unterschiedliche Szenarien zugrunde gelegt: Zum einen eine lang anhaltende Niedrigzinsphase, zum zweiten den Doppelschlag aus Niedrigzinsphase plus Preisverfall bei Aktien, Währungen und Immobilien. „Das derzeit herausfordernde wirtschaftliche Umfeld muss sich in einem solchen Stresstest wiederfinden“, sagte Eiopa-Chef Gabriel Bernardino bei der Ankündigung des neuerlichen Tests im Mai. Nur so lasse sich zeigen, wo die Branche am verwundbarsten ist.

Diese Versicherer sind systemrelevant
Insgesamt stuft der Financial Stability Board weltweit neun Versicherer als systemrelevant ein. Weil sich das FSB nicht dazu durchringen kann, auch Rückversicherer auf die Liste setzen, sucht man die Namen von Branchengiganten wie Warren Buffetts Berkshire Hathaway oder Munich Re vergeblich. Das Board führt die Liste ohne spezielle Reihenfolge, dementsprechend sind die Assekuradeure alphabetisch geordnet. Den Anfang macht die niederländische Aegon. 1983 gegründet, verwaltet der Konzern aus Den Haag 477 Milliarden Dollar an Vermögen. (Quelle: Financial Stability Forum) Quelle: Handelsblatt
Die Allianz mit Hauptsitz in München ist der einzige deutsche Versicherungskonzern, den das Financial Stability Board als systemrelevant einstuft. Und das aus gutem Grund: Mit einem verwalteten Vermögen von 928 Milliarden US-Dollar ist der 1890 gegründete Konzern in mehr als 70 Ländern der Welt vertreten – und ist damit der zweitgrößte Versicherer Europas. Quelle: REUTERS
Die American International Group (AIG) wurde 1919 gegründet, hat ihren Sitz in New York und beschäftigt weltweit rund 66.000 Mitarbeiter. Aktien der AIG notieren an der NYSE in der Wall Street und in Tokio. Die Amerikaner managen 514 Milliarden Dollar. Quelle: REUTERS
Gleich mehrere britische Konzerne gelten laut FSB als systemrelevant: Aviva, die bis 2002 noch CGNU hießen, gehören zu den fünf größten Erstversicherern der Welt. Aviva verfügt über ein Gesamtvermögen von 574 Milliarden Dollar und beschäftigt etwa 30.000 Mitarbeiter weltweit. Quelle: REUTERS
Die Axa-Gruppe mit Sitz in Paris ist mit 166.000 Mitarbeitern in 64 Ländern der Welt vertreten und knackt mit einem Gesamtvermögen von 1022 Milliarden Dollar die Billionen-Schallmauer. Axa hat mehr als 100 Millionen Kunden und gilt als größter Versicherungskonzern der Welt. Quelle: dpa
Der US-amerikanische Konzern Metropolitan Life Insurance Company, besser bekannt als MetLife, ist der größte Anbieter von Lebensversicherungen in den USA. Das Unternehmen wurde 1868 gegründet und beschäftigt etwa 70.000 Mitarbeiter. Laut aktuellem Quartalbericht kommen die New Yorker auf 952 Milliarden Dollar unter ihren Fittichen. Quelle: AP
Der chinesische Ping An Insurance ist der einzige als systemrelevant erachtete asiatische Versicherer. Ping An wurde 1988 gegründet und ist Hong Kong und Shanghai gelistet. Zu der Holding gehören verschiedene Unternehmen aus dem Dienstleistungssektor. Die Chinesen verzeichnen ein erfolgreiches Jahr mit starkem Wachstum, gemanagt werden knapp 690 Milliarden Dollar. Quelle: REUTERS

Zumindest im aktuellen Umfeld geht es den getesteten 236 Versicherern aus insgesamt 30 europäischen Ländern noch gut, so die Aussage der Experten jetzt. Das so genannte Solvency Capital Requirement (SCR), also das Kapital, das die Versicherer in der Kasse haben, um die Verpflichtungen gegenüber ihren Kunden in den kommenden zwölf Monaten mit einer Wahrscheinlichkeit von mindestens 99,5 Prozent zu begleichen, liegt im Schnitt bei beruhigenden 196 Prozent. 70 Prozent der untersuchten Versicherer schaffen sogar eine Quote von über 160 Prozent, nur ganze zwei von 236 untersuchten Unternehmen liegen unter 100 Prozent.

Interessanter wird es, wenn Stress aufkommt. Beim alleinigen Niedrigzins-Szenario fällt der Wert der Anlagen im Vergleich zu den Verpflichtungen gegenüber Kunden um 100 Milliarden Euro. 16 Prozent der getesteten Versicherer würden gar mehr als ein Drittel ihrer Anlagegelder gegenüber den Verpflichtungen zu Kunden verlieren.

Noch schlimmer käme es bei einem Doppelschlag: Der negative Einfluss auf die Anlagen aller Versicherer betrüge 160 Milliarden Euro. Jetzt würden bereits 40 Prozent der getesteten Versicherer ein Drittel ihrer Anlagen in Relation zu ihren Verpflichtungen verlieren.

„Die Ergebnisse des diesjährigen Stresstests bestätigen die signifikanten Herausforderungen, der der europäische Versicherungssektor im gegenwärtigen makroökonomischen Umfeld gegenübersteht“, wertet Eiopa-Chef Gabriel Bernardino die Ergebnisse.

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