Alexis Tsipras Vom Rebell zum Reformer

Zügiger als seine Vorgänger setzt der griechische Premier Alexis Tsipras die Vorgaben der internationalen Geldgeber um. Aber bleibt er auch nach dem Ende des Anpassungsprogramms auf Reformkurs?

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Tsipras erfährt - wider Erwarten und trotz massiver Reformen - wachsende Unterstützung in der Bevölkerung. Quelle: dpa

Athen Besser hätte die erste große Parlamentsabstimmung im neuen Jahr für Alexis Tsipras nicht laufen können: Nicht nur stimmten die 153 Abgeordneten der beiden Regierungsparteien geschlossen für das jüngste Reform- und Sparpaket; die Athener Koalition aus Links- und Rechtspopulisten bekam auch Unterstützung der unabhängigen Parlamentarierin Theodora Megalooikonomou – die nun darauf hoffen darf, dass Tsipras sie zur Belohnung in sein Linksbündnis Syriza aufnimmt. Statt zu bröckeln, wie von der Opposition gehofft, wächst die Mehrheit der Regierung.

Mit der Verabschiedung des Gesetzentwurfs, der 399 Artikel und über 1400 Seiten umfasst, setzt die Regierung Auflagen der Geldgeber um. Die Euro-Finanzminister können nun bei ihrem nächsten Treffen am Montag kommender Woche über die Freigabe einer weiteren Kreditrate entscheiden. Es geht voraussichtlich um sechs bis sieben Milliarden Euro. Das Geld stammt aus dem dritten Griechenland-Rettungsprogramm, das die Euro-Staaten im Sommer 2015 schnürten.

Damals stand Athen am Rand des Staatsbankrotts. Hellas galt vielen als ein hoffnungsloser Fall. Trotz immer neuer Finanzspritzen kam der griechische Patient nicht auf die Beine. Erst die mit dem dritten Hilfspaket verordnete Behandlung schlug an. Die Konsolidierung der Staatsfinanzen läuft besser als erwartet, wie die über dem Plan liegenden Haushaltszahlen zeigen. Nach acht Jahren wirtschaftlicher Talfahrt lässt das Land die Rezession hinter sich. Im vergangenen Jahr dürfte die griechische Wirtschaft um gut ein Prozent gewachsen sein, 2018 sollen es rund 2,5 Prozent werden. Nicht nur der Boom im Tourismus kurbelt die Konjunktur an. Auch die Exporte geben der Wirtschaft Schub. Im vergangenen Jahr wuchsen die Ausfuhrerlöse um rund sieben Prozent. Das zeigt: Griechenland wird wieder wettbewerbsfähiger.

Nicht nur die makroökonomischen Daten sind ermutigend. Auch das Wirtschaftsklima hellt sich auf. Der vom Institut Markit ermittelte Einkaufsmanagerindex entwickelt sich so gut wie seit 2008 nicht mehr, dem letzten Jahr vor Beginn der Krise.

Der Grexit ist vergessen. Jetzt steuert das Land den Exit an, den Ausstieg aus den Hilfsprogrammen und die Rückkehr an die Finanzmärkte. Dass Athen auf dem richtigen Weg ist, zeigt die Kursentwicklung am Bondmarkt: Die Rendite der zehnjährigen griechischen Staatsanleihe fiel im Januar auf den niedrigsten Stand seit zwölf Jahren. Die Anleger greifen wieder zu griechischen Schuldpapieren und fassen neues Vertrauen in die Kreditwürdigkeit des Landes.

Finanzminister Euklid Tsakalotos will das günstige Klima nutzen und schon in den nächsten Wochen den Kapitalmarkt anzapfen. Geplant sind bis zum Sommer zwei oder drei Emissionen. Mit dem aufgenommen Geld und weiteren noch ausstehenden Kreditraten aus dem laufenden Programm will Athen einen Liquiditätspuffer von bis zu 19 Milliarden Euro aufbauen. Das wären genug Mittel, um den Refinanzierungsbedarf nach dem Ende des Hilfsprogramms für fast zwei Jahre zu sichern. Mit Premier Tsipras sei „fast alles viel leichter geworden“, lobte jetzt der scheidende Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem. Das war nicht nur für Dijsselbloem eine Überraschung. Schließlich kam Tsipras mit dem Versprechen an die Macht, die Kreditverträge mit den Gläubigern zu „zerreißen“ und die verhasste Troika für immer aus Athen zu vertreiben.

Jetzt ist es Tsipras, der die Reform- und Sparvorgaben der internationalen Geldgeber getreuer umsetzt als alle seine Vorgänger. Die Erklärung dafür ist einfach: Er kann gar nicht anders. Tsipras und sein exzentrischer Finanzminister Varoufakis steuerten das Land mit ihrer Konfrontationspolitik gegenüber den Gläubigern in der ersten Jahreshälfte 2015 an den Abgrund der Staatspleite. Der einzige Ausweg war das im Sommer 2015 geschnürte Rettungspaket. Aus dem Rebell wurde ein Reformer wider Willen. Denn wirklich zu eigen gemacht hat sich Tsipras das Anpassungsprogramm nicht. Er setzt eine Politik um, an die er nach eigener Aussage nicht glaubt.

Das wirft die Frage auf: Welchen Kurs wird der griechische Premier steuern, wenn voraussichtlich im August die letzte Prüfung des Anpassungsprogramms abgeschlossen ist und sich Griechenland vom Tropf der Hilfskredite löst? Dreht der Linkspopulist dann die unbeliebten Reformen zurück und verteilt Wahlgeschenke, wie es seine Vorgänger seit Jahrzehnten machten?

Die Versuchung mag groß sein. Aber dass es zu einer solchen Entgleisung kommt, ist unwahrscheinlich. Auch nach dem Ende des Hilfsprogramms bleibt Griechenland unter Aufsicht der öffentlichen Gläubiger, denen das Land mittlerweile 261 Milliarden Euro schuldet. Schuldenerleichterungen, wie sie Tsipras in den kommenden Monaten auszuhandeln hofft, werden mit neuen Reform- und Sparauflagen verbunden sein.

Vor allem aber an den Finanzmärkten wird Griechenland unter besonderer Beobachtung bleiben. Anleger und Investoren verfolgen sehr genau, ob die Regierung in Athen am Reformkurs und der fiskalischen Disziplin festhält. Sollten daran Zweifel aufkommen, werden die Risikozuschläge für griechische Staatsanleihen schnell wieder steigen – bis hin zum Verlust des Marktzugangs. Das wird Tsipras sicher nicht riskieren wollen. Denn er muss wissen: Ein weiteres Rettungsprogramm der Euro-Partner wird es für sein Land nicht geben.

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