Brexit-Treffen mit Regionalregierungen Von großen Forderungen und kleinen Angeboten

Regierungschefin Nicola Sturgeon kämpft um Brexit-Zugeständnisse für Schottland. Doch Großbritanniens Premierministerin Theresa May erteilt ihr eine Abfuhr. Experten warnen vor einer Verfassungskrise.

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Mays Sprecherin hat den Forderungen von Sturgeon bereits im Vorfeld des Treffens eine klare Absage erteilt. Quelle: AFP

London Es ist ein erstes Angebot, aber keines, das Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon zufriedenstellen könnte: Einen „direkten Draht“ zum Brexit-Minister David Davis sollen die britischen Regionalregierungen bekommen, um so den Austausch über die Entwicklungen bei Austritt des Landes aus der EU zu pflegen. Das soll Großbritanniens Premierministerin Theresa May Sturgeon und ihren Kollegen bei einem wichtigen Treffen am Montag in Aussicht gestellt haben. Davis soll zudem einem Komitee der Regionalregierungen vorsitzen, das regelmäßig zusammenkommen soll. Auch das war Teil des Friedensangebots, das May den Regionalpolitikern machte.

Doch Sturgeon, die wie keine andere Politikerin auf der Insel für mehr Mitsprache und einen möglichst pragmatischen Abschied von dem Projekt Europa kämpft, fand dies nach dem Treffen noch nicht mal eine Erwähnung wert. „Es macht mir nichts aus zuzugeben, dass große Teile des Treffens tief frustrierend waren“, sagte sie dem Nachrichtensender Sky News. Und weiter: Sie wisse nach dem Treffen nicht mehr über die Brexit-Strategie der Regierung als vorher. Es habe nur warme Worte gegeben, kritisierte Sturgeon im Gespräch mit der BBC.

Zum ersten Mal seit 2014 ist am Montag der so genannten Gemeinschaftsausschuss der Regionalregierungen einberufen worden. Dabei kamen neben Schottlands Ministerpräsidentin auch der walisische Regierungschef Carwyn Jones und Nordirlands Ministerpräsident Arlene Foster in der Downing Street zusammen, um über die Brexit-Strategie Mays zu reden.

Vor allem Sturgeon hatte im Vorfeld ihre Forderungen deutlich gemacht: Sie will einen so genannten „flexiblen Brexit“. Schottland soll den Zugang zum europäischen Binnenmarkt behalten können, selbst wenn der Rest Großbritanniens sich von der EU und den wirtschaftlichen Vorteilen verabschiede. Sollten die Interessen Schottlands, das mehrheitlich für die weitere EU-Zugehörigkeit stimmte, in den Gesprächen über den Austritt nicht berücksichtigt werden, droht Sturgeon mit einem erneuten Unabhängigkeitsreferendum. Bei einer Abstimmung vor zwei Jahren haben gut 55 Prozent der Schotten gegen eine Abspaltung vom Königreich gestimmt.

Mays Sprecherin hat diesen Forderungen bereits im Vorfeld des Treffens eine klare Abfuhr erteilt: „Die Regierung wird den EU-Austritt als ein Vereinigtes Königreich verhandeln.“ Um die britischen Interessen als Ganzes vertreten zu können, müsse man mit einer Position, die für das ganze Land gelte, in die Gespräche gehen. Und die Regionalregierungen dürften diese Verhandlungen und Pläne mit ihren Sonderwünschen „nicht untergraben“, so die Ansage von Theresa May. Sturgeon konterte nach dem Treffen mit der Premierministerin: Sie könne nichts untergraben, denn es gebe ja keine klaren Brexit-Pläne der Zentralregierung.


Experten warnen vor Verfassungskrise

Experten warnen vor einer Verfassungskrise, wenn May die unterschiedlichen Positionen der Regionalregierungen bei ihren Brexit-Verhandlungen nicht ins Kalkül zieht. Ihnen angesichts ihres Widerstands einen Brexit-Deal aufzuzwingen, das sei ein waghalsiges Unterfangen, heißt es in einer Studie der unabhängigen Denkfabrik Institute for Government. „Schottland, Wales und Nordirland können nicht behandelt werden wie irgendeine Lobby-Gruppe oder ein Interessensverband“, schreiben die Autoren der Studie. Andererseits müssten die Regionalregierungen aber hinnehmen, dass die Zentralregierung am Ende doch das letzte Wort in der Sache haben werde.

Grundsätzlich sprach sich auch der walisische Regierungschef Jones für den weiteren Zugang Großbritanniens zum Binnenmarkt aus. Das sei der wichtigste Aspekt, auch wenn Wales mehrheitlich für einen Brexit votierte.
Nordirland dagegen fürchtet, dass alte Konflikte mit Irland wieder aufreißen, wenn entlang der Trennlinie zwischen Irland und Nordirland nach einem Brexit die Außengrenze der EU verlaufen wird. Diese Konflikte sind durch das Friedensabkommen von 1998 beigelegt worden. Nach dem Treffen mit May am Montag sagte Nordirlands stellvertretender Regierungschef Martin McGuinness: „Wir glauben, dass wir im Mittelpunkt der Verhandlungen stehen müssen.”

Zu einem gewissen Grad will die britische Premierministerin inzwischen Debatten darüber, wie der Brexit aussehen soll, zulassen. Vor einigen Wochen hatte sie das noch abgelehnt und stets betont, das Land dürfe sich bei den Verhandlungen nicht zu sehr in die Karten schauen lassen und daher nicht jeden Schritt öffentlich machen. Doch nach zunehmendem Druck aus der eigenen Partei und der Opposition hat sie Parlamentsdebatten über den Brexit in Aussicht gestellt, bevor sie die offiziellen Austrittsgespräche einleitet. Das soll bis Ende März passieren.

Bei einem Parlamentsauftritt am späten Montagnachmittag wurde sie etwas konkreter: Es werde noch vor Weihnachten eine Debatte über die Brexit-Grundsätze im Parlament geben. Einigen in Großbritannien geht das nicht weit genug – etwa eine Gruppe von Klägern, die vor einem Londoner Gericht für einen offiziellen Parlamentsbeschluss kämpfen, bevor die Austrittsverhandlungen beginnen. Mit einer Entscheidung des Gerichts ist in den nächsten Wochen zu rechnen. Doch sowohl die Regierung als auch die Kläger haben in dem Fall bereits deutlich gemacht, dass sie zum Supreme Court gehen werden, sollten sie verlieren. Eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes wird Ende dieses Jahres oder Anfang 2017 erwartet.

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