Bundeswehrsoldaten in der Türkei Ein Abzug nutzt beiden Seiten

Die Verteidigungsministerin ist zu Besuch in Jordanien. Doch noch zögert die Bundesregierung, deutsche Soldaten aus Incirlik dorthin zu verlegen. Dabei würde ein Abzug den bilateralen Beziehungen nützen. Eine Analyse.

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Wer in diesen Tagen in Berlin oder Ankara damit beauftragt ist, das deutsch-türkische Verhältnis in ruhige Bahnen zu bringen, der hat es nicht leicht. Quelle: dpa

Istanbul Die Türkei hat deutschen Bundestagsabgeordneten, die die Bundeswehrsoldaten an der Nato-Luftwaffenbasis im südtürkischen Incirlik besuchen wollen, erneut die Einreise verboten. Als Grund wird angegeben, dass die Bundesrepublik kürzlich mehreren türkischen Soldaten, die am gescheiterten Putschversuch in der Türkei teilgenommen haben sollen, Asyl in Aussicht gestellt hat. Laut ZDF-Politbarometer aus dem Mai ist eine Mehrheit von 81 Prozent dafür, wenn deshalb die deutschen Soldaten aus der Türkei abgezogen und in ein anderes Land in der Region verlegt werden.

Die rund 260 Soldatinnen und Soldaten betreiben von Incirlik aus Luftaufklärungseinsätze über Syrien, um so Nato-Truppen am Boden mit Geländeinformationen über Gebieten versorgen zu können, die die Terrormiliz IS für sich beansprucht. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) kündigte bereits an, die Bundesregierung prüfe, ob die Tornado-Flugzeuge auch von einem anderen Stützpunkt aus, etwa in Jordanien, abfliegen können. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) ist an diesem Wochenende zu Gesprächen im Königreich. Linke und Grüne haben sich im Bundestag mit ihrer Forderung nach einem sofortigen Abzug der Bundeswehr indes nicht durchsetzen können. Ein Antrag der Oppositionsfraktionen dazu wurde mit den Stimmen von Union und SPD an die zuständigen Ausschüsse verwiesen.

Ein möglicher Abzug der Soldaten aus Incirlik an einen anderen Stützpunkt außerhalb der Türkei wäre dabei nicht etwa, wie manche fürchten, eine weitere Eskalation der deutsch-türkischen Beziehungen. Er würde beiden Seiten nützen.

Wer in diesen Tagen in Berlin oder Ankara damit beauftragt ist, das deutsch-türkische Verhältnis in ruhige Bahnen zu bringen, der hat es nicht leicht. Auftrittsverbote türkischer Politiker in Europa, die Verhaftung von Journalisten wie dem deutsch-türkischen Doppelbürger Deniz Yücel, ein recht aussageloses Votum des Bundestags, die Massentötungen an Armeniern im Osmanischen Reich als Völkermord zu benennen, Nazi-Vergleiche durch Präsident Erdogan und seine zunehmend autoritäre Politik sowie die Kritik an einem umstrittenen Referendum über eine noch umstrittenere Verfassungsänderung – die Liste der Streitpunkte ist üppig.

Jetzt diskutieren beide Seiten zu zweiten Mal darüber, ob Bundestagsabgeordnete ihre Soldaten im Ausland besuchen dürfen. Klar: Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Über ihre Entsendung in Krisengebiete entscheidet nicht die Bundeskanzlerin, sondern das Parlament.

Aber muss der Einsatz tatsächlich von der Türkei aus stattfinden? Die Luftwaffenbasis Incirlik liegt zwar günstig. Die Tornados der Bundeswehr brauchen keine halbe Stunde, um von dort syrischen Luftraum zu erreichen. Aber auch von Jordanien oder Zypern aus wären sie schnell dort, um ihre Aufklärungsflüge zu starten. Warum also Öl ins Feuer der türkisch-deutschen Beziehungen gießen?

Hinzu kommt, dass der IS bei den jüngsten Anschlägen in der Türkei darauf verwiesen hat, diese seien die Vergeltung dafür, dass von türkischem Territorium aus Angriffe auf die selbsternannten Gotteskrieger geflogen würden. Interessanterweise häufen sich die Anschläge des IS in der Türkei, seitdem Ankara im Sommer 2015 der von den USA angeführten Anti-IS-Koalition ihre Unterstützung zusagte.

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu sagte zu der Debatte um den möglichen Abzug der Bundeswehr aus Incirlik: „Sie wollten kommen und wir waren ihnen behilflich. Wenn sie abziehen wollen, sagen wir eben auf Wiedersehen.“ Damit stellt er klar, dass die Türkei nicht auf die Präsenz der Deutschen besteht, er aber mit seiner ausgedrückten Gleichgültigkeit den Streit auch nicht weiter entfachen will.

Für die Bundeswehr und die Verteidigungsministerin hat die Debatte indes schon jetzt einen angenehmen Nebeneffekt. Der Skandal um den Soldaten Franco A., der als Flüchtling getarnt Anschläge in Deutschland geplant haben soll, gerät zumindest für ein paar Tage in den Hintergrund. Die türkische Regierungspartei AKP sammelt gleichzeitig Punkte bei der nationalistisch orientierten Wählerschaft für das harte Auftreten gegen den Westen.

Noch mehr als das würde ein Abzug der Bundeswehr aus Incirlik mittelfristig auch dem bilateralen Verhältnis nützen: ein Streitpunkt weniger.

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