Demokratisierung in Nordafrika Tunesien ist das Vorbild für Arabien

Tunesien ist das Vorbild für eine gelungene Demokratisierung in der arabischen Welt. Der kleine Staat hatte es einfacher als die anderen Umbruchländer. Doch der Weg ist noch nicht zu Ende.

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Freie Wahlen in Tunesien: Wahlhelferinnen bei der Arbeit. Quelle: dpa

Tunis Auf die Frage, warum Tunesien als einziges Land des Arabischen Frühlings den Übergang zur Demokratie meistert, sagte eine junge Tunesierin jüngst folgendes: „Wir sind das Original, alle anderen Kopien.“ Tatsächlich hat Tunesien vier Jahre nach der Jasminrevolution, als Langzeitherrscher Zine El Abidine Ben Ali gestürzt wurde, im Gegensatz zu allen anderen Umbruchländern große Erfolge vorzuweisen.

Nach einem Stolperstart mit politischen Krisen, die schließlich zum Rückzug der islamistischen Ennahda-Partei aus der Regierung führten, geht es aufwärts: Anfang dieses Jahres wurde eine neue, moderne Verfassung beschlossen, vor vier Wochen ein Parlament gewählt und am vergangenen Sonntag zum ersten Mal bei einer demokratischen Wahl direkt über den Präsidenten abgestimmt. Tunesien gilt im Westen damit als leuchtendes Vorbild für die arabische Welt.

Tunesien ist mit seinen knapp elf Millionen Einwohnern ein recht kleines Land, hat eine sichtbare Mittelschicht, und die wirtschaftlichen und Sicherheitsprobleme sind im Vergleich zu Ägypten mit den mehr als 80 Millionen Einwohnern geradezu überschaubar. Ägypten hat zudem wegen der gemeinsamen Grenze mit Israel eine strategisch wichtige Bedeutung, weshalb Kairo seit Jahrzehnten zu den größten Empfängern von US-Militärhilfe gehört.

Im Arabischen Frühling wurde dort zwar Langzeitpräsident Husni Mubarak gestürzt, nicht aber die Armee. Schon bei den Massenprotesten Anfang 2011 hatten die Demonstranten auf dem Kairoer Tahrir-Platz gerufen: „Volk und Militär - Hand in Hand.“ Als später die islamistische Muslimbruderschaft die ersten freien Wahlen gewann und ihr Vertreter Mohammed Mursi Präsident wurde, mehrten sich die Spannungen mit der Opposition - und auch mit der Armee. Den Menschen ging es wirtschaftlich immer schlechter, und dies führte zu neuen Protesten. Staatschef Mursi wurde schließlich vom Militär entmachtet. Heute ist der damalige Armeechef Abdel Fatah al-Sisi Präsident, und das Militär bekommt immer mehr Befugnisse.


Auf den Erfolg kann sich Tunesien nicht ausruhen

In Tunesien stand die Demokratisierung ebenfalls einst auf der Kippe, als der Mord an zwei Linkspolitikern mutmaßlich durch radikale Islamisten zu einer politischen Krise führte. Doch die islamistische Ennahda, die damals an der Macht war, reagierte anders als Mursi in Ägypten und erklärte sich letztlich bereit, den Weg für eine Expertenregierung freizumachen. Auch bei den jüngsten Parlamentswahlen zeigten sich die Islamisten als gute Verlierer und verzichteten bei der Präsidentenwahl auf einen Kandidaten, um das Land nicht weiter zu spalten.

Im Vergleich zu Syrien oder auch dem Jemen hat Tunesien ferner wenig Grund für religiöse Auseinandersetzungen, da in dem Land fast ausschließlich sunnitische Muslime leben, Schiiten gibt es ebenso wenig wie Juden oder Christen. Die Gesellschaft ist recht homogen, auch Stammesloyalitäten spielen eine untergeordnete Rolle. In Libyen dagegen hatte der 2011 gestürzte und getötete Herrscher Muammar al-Gaddafi nach dem Motto „teile und herrsche“ Rivalitäten unter Stämmen und Clans stets aufrechterhalten oder gar angeheizt. Inzwischen kämpfen dort unzählige Milizen gegeneinander.

Auf den bisherigen Erfolgen kann sich Tunesien jedoch noch längst nicht ausruhen. Bis heute beschränken sich wirtschaftliche und infrastrukturelle Entwicklungen zum großen Teil auf die Küstenregionen und Ballungsräume im Norden und Osten. Die Gesellschaft ist gespalten in Anhänger der Islamisten und ihre Gegner. In ländlichen Regionen ist die Armut groß und die Hoffnungslosigkeit wohl letztlich auch einer der Gründe dafür, dass es viele Hundert Tunesier in den „Dschihad“ nach Syrien zog.

Doch die größte Gefahr droht dem Land von den Nachbarn. Aus Algerien kommen immer wieder radikale Islamisten über die Grenze, um Angriffe zu verüben. Im gesetzlosen Libyen haben tunesische Extremisten längst Fuß gefasst. Sie drohen, ihren „Heiligen Krieg“ nach Tunesien zu bringen.

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