Emmanuel Macron in Deutschland Der Klebstoff für Europa

Frankreichs Präsident Macron hat an der Goethe-Universität in Frankfurt über sein Lieblingsthema gesprochen: die Zukunft Europas. Nach seiner Reise ist sicher: Macrons Hoffnungen ruhen auf der gemeinsamen Kultur.

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Der französische Präsident nannte den Studenten Themen, um die sich Europa kümmern müsse. Quelle: dpa

Frankfurt Auf dem Campus wehen Frankreichflaggen und Europabanner. Studenten diskutieren über die Zukunft Europas, Wahlen und den bevorstehen Brexit. Sie stehen Schlange vor den Hörsälen und hoffen auf einen Platz bei der Liveübertragung: Sie wollen dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron zuhören,

Macron hat die Termine seiner Deutschlandreise mit Bedacht gewählt. Die Diskussion über die Zukunft Europas am Dienstag fand nicht ohne Grund an einer Universität statt, auch der Auftritt auf der Frankfurter Buchmesser im Anschluss war kein Zufall. Der französische Präsident umgibt sich gerne mit jungen Menschen, Intellektuellen und Kulturinteressierten. Er verfolgt einen großen Plan, für den er schon an der Pariser Universität Sorbonne geworben hatte: Die Neugründung Europas. Macron sagte in dieser europapolitischen Grundsatzrede Bundeskanzlerin Merkel seine ausdrückliche Unterstützung bei einer EU-Reform zu – und nahm sie damit gleichzeitig in die Verantwortung.

An der Uni in Frankfurt erklärte der französische Präsident bei einer Debatte am Dienstag mit dem deutsch-französischen Politiker Daniel Cohn-Bendit und dem Islam-Experten Gilles Kepel seine Vision von Europa: „Wir brauchen mehr Demokratie in Europa und wir brauchen politische, soziale und kulturelle Konvergenzen als Zement für das Projekt.“ Es sei ein Fehler gewesen, davon auszugehen, dass die Menschen aufgrund des gemeinsamen Marktes schon irgendwie zusammen finden würden. „Wir haben bei dem Prinzip der Einheit ein wenig den Faden verloren.“ Trotzdem solle sich jeder bewusst machen, dass „wir hier etwas geschaffen haben, was es sonst nirgendwo gibt“.

Vor den Studenten und Hochschulmitarbeitern nannte er die Themen, um die sich Europa kümmern müsse. Die Bereiche Kultur und soziale Gerechtigkeit dürften nicht vernachlässigt werden. „Kultur ist ein Bindemittel“, sagte Macron und erklärte damit seine Auftrittswahl in Deutschland.

Die Präsidentin der Frankfurter Uni, Professorin Birgitta Wolff, schloss sich dem Präsidenten an: „Die Uni ist der ideale Ort für Themen wie soziale Umbrüche, Solidarität, Identität, Werte, kulturelle Herausforderungen und die Neugründung Europas für die Jugend.“

Den Zugang zu Kultur und Bildung machte Macron auch als Gegenmittel zur Radikalisierung junger Muslime in Frankreich aus. Zwar sei bei der Bekämpfung von islamistischem Terrorismus auch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Nachrichtendienste eine europäische Aufgabe, aber Erziehung und Ausbildung seien aber ebenfalls ein Gegenmittel: „Ein gut ausgebildetes Kind aus einer glücklichen Familie geht nicht zum IS.“

Cohn-Bendit hielt den Plänen von Macron ein Zitat von Helmut Schmidt entgegen: Wer Visionen habe, solle zum Arzt gehen. Der französische Präsident lächelte und erklärte: „Es ist gut, dass wir heute hier sitzen und über Europas Zukunft diskutieren. Wir müssen versuchen Europa umzukrempeln und eine Koalition des guten Willens schaffen.“

Und wenn alle diese Version teilen, wer könne da noch sagen, dass wir Europa nicht brauchen. Eines sei klar: „Wenn man eine Vision hat, muss man nicht zum Arzt gehen, sondern in die Debatte einsteigen – wir müssen einen Fahrplan haben und in allen Ländern diskutieren.“ Zu diesen Themen werde er auch die Kanzlerin nach Frankreich einladen. Bevor Macron diese Pläne in die Tat umsetzen kann und Merkel in Frankreich trifft, eröffneten die beiden am Dienstag die Frankfurter Buchmesse.

Der französische Präsident machte auch hier seinen kulturellen Schwerpunkt deutlich. Er plädierte erneut für den Aufbau europäischer Hochschulen bis spätestens 2022 sowie für mehr Austauschprogramme für Studenten. Zugleich müsste das Lernen aller Sprachen in einem vielfältigen Europa gestärkt werden, sagte Macron, der als einen seiner ersten Schritte bilinguale Schulen eingerichtet hat.

Dem „Europa der Cafés“ und der kulturellen Intelligenz sei es zu verdanken, dass die über viele Jahrhunderte gewachsenen Bindungen zwischen Deutschland und Frankreich nie zerstört worden seien, sagte er. Wie Macron hob auch Kanzlerin Merkel hervor, dass sich beide Länder als große europäische Kulturnationen, trotz vieler Kontroversen und Konflikte, immer gegenseitig befruchtet hätten.

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