Friedensgipfel für Syrien Der Westen ist nur Zuschauer

Die Staatschefs Russlands, der Türkei und des Irans beraten über die Zukunft Syriens, wohl auch über ein Ende der Kampfhandlungen – und werden das Machtgefüge in der Region möglicherweise für lange Zeit zu ihren Gunsten ausrichten.

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Schon vor dem Friedensgipfel für Syrien trafen sich der syrische und der russische Präsident zu Gesprächen. Damit kann Putin seinen Einfluss auf Syrien stärken. Quelle: dpa

Istanbul Am Dienstagabend verbrachte Wladimir Putin viel Zeit am Telefon. Er sprach mit mehreren Staats- und Regierungschefs über die Lage im Bürgerkriegsland Syrien und mögliche Weichenstellungen in dem jahrelang andauernden Konflikt. Am anderen Ende der Leitung waren jeweils der saudi-arabische König Salman, der israelische Ministerpräsident Netanjahu und der ägyptische Machthaber al-Sisi – und auch der Vertreter eines Staates, der bei größeren Konflikten eigentlich mit am Verhandlungstisch sitzt, anstatt bloß per Ferngespräch auf dem Laufenden gehalten zu werden: US-Präsident Donald Trump.

Das Weiße Haus teilte am Dienstag mit, Trump und Putin hätten sich telefonisch „über verschiedene Konflikte dieser Welt“ ausgetauscht. Der Kreml in Moskau sparte sich zunächst eine Stellungnahme und äußerte sich stattdessen zu den Telefonaten mit den drei anderen Staatschefs, bevor auch das Telefonat mit Trump thematisiert wurde. Putin dürfte ihnen allen erzählt haben, was er am heutigen Mittwoch beschließen dürfte.

Die Staatschefs Russlands, der Türkei und des Irans werden sich im Laufe des Tages im russischen Badeort Sotschi treffen, um über Syrien zu verhandeln. Am Ende könnte ein Friedensfahrplan stehen. Das Trio aus Moskau, Ankara und Teheran würde seinen Einfluss in der Region festigen – und das Machtgefüge in der Region möglicherweise für die nächsten Jahrzehnte zu seinen Gunsten ausrichten. Die USA und Europa wären daran nicht beteiligt. Dem Westen bleibt nur die Zuschauerrolle.

Fast sieben Jahre dauert der Konflikt nun an. Damals begann er mit vergleichsweise unspektakulären Protesten der Bevölkerung gegen Machthaber Assad und entwickelte sich zu einem brutalen Bürgerkrieg mit Hunderttausenden Toten und Millionen Vertriebenen. Die Terrormiliz Islamischer Staat breitete sich in den Wirren des Bürgerkrieges aus.

Der Syrienkonflikt bedeutete für Europa eine der größten Flüchtlingskrisen seit dem Zweiten Weltkrieg. Mehr als eine Million Syrer machten sich auf den Weg über die Türkei nach Europa, gemeinsam mit Irakern, Afghanen und Menschen aus zahlreichen afrikanischen Staaten. Die Einwanderungswelle sorgte für einen erheblichen Rechtsruck in vielen europäischen Ländern. Nicht zuletzt, weil mit den Flüchtlingen auch der Terror auf dem Kontinent zunahm.

Nachdem der von den Vereinten Nationen geführte Friedensprozess in Genf ins Stocken geraten war, trafen sich die Staatschefs aus Moskau, Ankara und Teheran in diesem Jahr, um Gespräche zwischen syrischer Regierung und Oppositionsgruppen zu vermitteln. In der kasachischen Hauptstadt Astana einigten sich die drei Länder sogar darauf, Schutzzonen in Syrien einzurichten, in denen Zusammenstöße zwischen Regierungsgruppen und Milizen der Opposition vermieden würden. Auch wenn Syrien selbst nur Beobachter bei diesen Gesprächen gewesen war, begrüßten sowohl Vertreter der Regierung als auch der Opposition den Schritt.

Das war der Anfang vom Ende des westlichen Einflusses auf den Fortgang des Konflikts in dem Land. Während das bestehende Machtgefüge in der Region in einem langen Prozess der Kämpfe, Terrorattacken und Flüchtlingswellen implodierte, schufen die chaotischen Verhältnisse Raum für neue Akteure.


Russland baut seine Macht aus

Russland bombte sich den Einfluss in Syrien herbei und gehört nun zu den führenden Regionalmächten in der Region. Das zeigt ein Beispiel: Die israelische Regierung forderte im Herbst von Moskau, regierungsnahe syrische Rebellengruppen sollten sich nicht im syrisch-israelischen Grenzgebiet aufhalten. Doch der Kreml ging auf die Forderung nicht ein. Das Thema war durch, die Rebellen bewegten sich nicht vom Fleck.

Russland hat ein großes Interesse an einem Verbündeten auf dem syrischen Präsidentenstuhl. Moskau hat eine große Marinebasis in der syrischen Hafenstadt Latakia installiert – der einzige direkte militärische Zugang zum Mittelmeer für die Russen. Außerdem kann der Einmarsch Russlands in dem Land als direkte außenpolitische Provokation der USA angesehen werden. Kremlchef Putin will damit die eigene Macht in der Region demonstrieren und gleichzeitig den Einfluss Washingtons im Nahen Osten eingrenzen. Zugleich will er damit die eigene Handlungsposition nach der Annexion der Krim verbessern. Der Einmarsch russischer Truppen in das Staatsgebiet der Ukraine hatte vor drei Jahren dazu geführt, dass viele westliche Staaten umfangreiche Sanktionen gegen Russland einführten.

Der Iran hat Assads Truppen unterstützt, indem er die kampferprobten Revolutionsgarden nach Syrien schickte, um sie dort gegen den IS und Oppositionsgruppen kämpfen zu lassen. Das Kalkül Teherans: eine schiitische Achse von Iran über den Irak und Syrien sowie Libanon bis ans Mittelmeer zu schaffen. Dadurch würde Teheran nicht nur seinen eigenen Einfluss ausweiten, sondern gleichzeitig das sunnitische Nord-Süd-Band von Saudi-Arabien bis in die Türkei durchschneiden. Riad und Teheran gelten als Schutzmächte der beiden islamischen Konfessionen und ringen seit Jahren um Einfluss in der Region.

Die Türkei wiederum, die sich 900 Kilometer Grenze mit Syrien teilt, unterstützt zahlreiche sunnitische Oppositionsgruppen und sieht sich als Schutzmacht syrischer Turkmenen. Als Nato-Partner und Grenznachbar Syriens hat sie wiederum ein eigenes vitales Interesse an Stabilität in Syrien: Bei Terrorattacken durch den IS starben alleine in den vergangenen zwei Jahren in dem Land mehr Menschen als in ganz Europa zusammen. Kein Land auf der Welt hat außerdem mehr Flüchtlinge aufgenommen. Nach jüngsten Schätzungen der Vereinten Nationen sind es 3,5 Millionen Menschen, davon 3,2 Millionen aus Syrien.

Hinzu kommt, dass sich im syrisch-türkischen Grenzgebiet kurdische Gruppen ausbreiten, die von Ankara als Terrororganisation angesehen werden. Die YPG, eine Abspaltung der türkisch-kurdischen Terrorgruppe PKK, hat auch in der Türkei Anschläge verübt.

Die Terrorgruppe Islamischer Staat kann als brutales Nebenprodukt des Machtvakuums in der Region angesehen werden. In den Wirren des Bürgerkriegs sind weite Landesteile nicht regierbar gewesen. Der IS mit seiner gewaltsamen Unterdrückungsstrategie brachte so große Teile des syrischen Ostens und den angrenzenden Westirak unter seine Kontrolle.

Gleichzeitig stellt die Terrorgruppe für alle Beteiligten ein großes Risiko dar. Für Russland, weil viele IS-Kämpfer aus ehemaligen sowjetischen Satellitenstaaten kommen und ein potenzielles Risiko im eigenen Land darstellen können. Für die Türkei, weil die selbsternannten Gotteskrieger bei Anschlägen in dem Land Hunderte Menschen töteten. Ebenso wie im Iran, wo in diesem Jahr mehrere IS-Attentäter um sich schossen. Außerdem fürchtet der schiitische Iran das Ausbreiten der sunnitisch orientierten Terrorgruppe. Hinzu kommt: Der IS kontrollierte lange große Ölgebiete in Syrien und dem Irak. Auf die haben es alle Akteure in der Region abgesehen.


Erdogan braucht Stabilität

Der türkische Präsident Erdogan, der nebenher noch den Staat umbauen und seine eigene Macht festigen will, braucht dafür stabile Verhältnisse in der Region. Wohl auch deshalb sah er sich gezwungen, im August 2016 einen komplizierten Militäreinsatz in Syrien auszuführen. Unter großem Aufwand vertrieben türkische Truppen sowohl Kämpfer des IS als auch der YPG aus Teilen des Grenzgebiets. Mehr als 60 türkische Soldaten kamen bei dem Einsatz ums Leben.

In der freigebombten Zone um die syrische Stadt Jarablus herrscht dafür seitdem Frieden. Syrische Flüchtlinge aus der Region kehrten nach dem Kampfeinsatz in ihre Heimatorte in dem Gebiet zurück.

Auf den oft richtungsweisenden Einfluss aus dem Westen brauchte Staatschef Erdogan nicht mehr zu hoffen. Es gab im Verlauf des Syrienkonflikts einige Anhaltspunkte, die nahelegten, dass der Westen nicht aktiv in den Konflikt eingreifen will. Etwa, als bekannt wurde, dass der syrische Machthaber Assad die eigene Bevölkerung in dem Ort Ghouta mit Giftwaffen tötete; für Washington unter dem damaligen Präsidenten Barack Obama war der Einsatz solcher Instrumente eigentlich die rote Linie, ab der die Entsendung amerikanischer Truppen nach Syrien gerechtfertigt gewesen wäre.

Doch es passierte: nichts. Die USA hielten sich zurück. Beim G20-Gipfel im Jahr 2015 betonte Obama mehrfach, dass ein Militäreinsatz in dem Land nicht auf der Agenda stehe. Die russisch-iranische Allianz sah darin die geopolitische Chance, ihren Einfluss in Syrien auszubauen. Das Resultat: Die Kampfhandlungen wurden immer brutaler, mit Angriffen aus der Luft und schwerem Gerät am Boden. Als Nebenprodukt breitete sich der IS ohne Probleme aus.

Jetzt verhandelt die trilaterale Koalition über ein Ende der Kampfhandlungen. Die verschiedenen Oppositionsgruppen, die nach den Interventionen der drei Mächte kaum noch Gebiete kontrollieren, sind ebenso machtlos wie der Westen, der immer noch auf ein Ende der Macht für Syriens Präsidenten Assad hofft.

Doch der syrische Diktator wird bleiben. Das zeigt eine Szene vom Dienstag. Da traf sich Assad mit Putin, um über die bevorstehenden Verhandlungen zu sprechen. Die beiden Autokraten begrüßten sich mit einer innigen Umarmung. Diese Botschaft ist eindeutig.

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