G20-Gipfel in China Die Egoismen müssen ein Ende haben

Dissens statt Konsens, Handelsbarrieren statt Freihandel: Die Zusammenarbeit der G20-Länder stockt. Die „Weltwirtschaftsregierung“ muss sich bei ihrem Gipfeltreffen in China zusammenraufen. Eine Analyse.

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Präsident Xi Jinping (l), US-Präsident Obama (2. v l) und Kanzlerin Merkel bei einem G20-Gipfel im vergangenen Jahr. Eine Zusammenarbeit der führenden Länder der Welt ist wichtiger denn je. Quelle: AP

Berlin Als sich die Staats- und Regierungschefs der 20 wichtigsten Schwellen- und Industrieländer (G20) vor acht Jahren zum ersten Mal in Washington trafen, gaben sie sich ein geradezu historisches Versprechen: Noch unter dem Eindruck der Finanzkrise verpflichtete sich die neue Weltwirtschaftsregierung an offenen Grenzen, Freihandel und wirtschaftlicher Zusammenarbeit festzuhalten. Dieses Versprechen hat die G20 seitdem immer wieder bekräftigt, und es wird mit Sicherheit auch in der Abschlusserklärung des Gipfels von Hangzhou am Wochenende stehen.

Worte sind das eine, die heutige Wirklichkeit ist eine andere. Angesichts enormer Flüchtlingsströme und der steigenden Wut der Bürger auf die globalisierte Weltwirtschaft schotten sich immer mehr Länder ab. Das Brexit-Votum der Briten und die Pläne des US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump, Amerika mit Mauern und Schutzzöllen zu umgeben, sind nur zwei von vielen Beispielen für diese Rückkehr zum Nationalismus des 19. Jahrhunderts.

Rund 350 neue Handelsbarrieren haben die G20-Länder allein in den ersten acht Monaten dieses Jahres errichtet, meldet die Denkfabrik „Global Trade Alert“ in St. Gallen. Wenn sich jedoch die Globalisierung auf dem Rückzug befindet, wozu brauchen wir dann noch die G20 als Weltwirtschaftsregierung?

Die Ironie unserer Tage ist: Nie war der Bedarf für eine enge Zusammenarbeit der G20 größer als heute, aber nie war auch die Bereitschaft dazu geringer. Der aktuelle Streit um die milliardenschwere Steuernachzahlung des amerikanischen Konzerns Apple ist dafür ein gutes Beispiel. Seit Jahren beraten die Staats- und Regierungschefs im Kreise der G20 über eine gemeinsame Strategie gegen die Steuervermeidungstricks großer internationaler Konzerne. Ende vergangenen Jahres einigten sie sich auf 15 Vorschläge, die unter anderem einen intensiveren Informationsaustausch vorsehen.

Wenn es jedoch wie jetzt im Fall Apple zum Schwur kommt, siegt der Nationalismus noch allemal über die Vernunft einer globalen Regelung. So prangert die US-Regierung das Vorgehen der EU gegen Apple als unfairen Akt an.

Dabei ist den US-Behörden das Steuergebaren ihrer Multis schon seit Jahren ein Dorn im Auge. Parken doch Apple, Google & Co. Unternehmensgewinne in Höhe von rund zwei Billionen Dollar im Ausland und entziehen sie damit dem amerikanischen Fiskus. Alle Staaten haben ein Interesse daran, dass multinationale Unternehmen ihren fairen Beitrag liefern, damit der Staat öffentliche Güter wie Bildung, Forschung und Infrastruktur bereitstellen kann.


Wachstumspolitik versus Sparkurs

Deutlich weiter auseinander gehen die Meinungen darüber, ob sich die großen Wirtschaftsmächte innerhalb der G20 auf eine abgestimmte Wirtschaftspolitik einigen sollten. Seit Jahren liegen sich die Anhänger einer staatlich geförderten Wachstumspolitik mit den Vertretern einer Austeritätspolitik in den Haaren, wobei die USA und Deutschland die beiden Lager anführen.

Der Minimalkonsens lautete bislang, dass jedes Land seine eigenen Hausaufgaben erledigen müsse. Das bleibt auch in Zukunft richtig, ist aber eben nur die halbe Wahrheit. Gibt es doch viele gute Gründe, warum der Staat gerade jetzt angesichts eines enormen technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandels mehr Geld zum Beispiel in Schulen, Aus- und Weiterbildung, Integration und die digitale Infrastruktur investieren sollte. Dass Staaten wie Deutschland solche Investitionen auch noch zu negativen Zinsen finanzieren könnten, müsste auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zu denken geben.

Die vom deutschen Kassenwart angeführte Austeritätsfraktion in der G20 hat durch die Regierungsumbildung in Großbritannien ohnehin eine wichtige Stütze verloren. Die neue britische Premierministerin hält nämlich nicht allzu viel von der harten Sparpolitik des früheren Schatzkanzlers George Osborne.

Kein Wunder, dass US-Finanzminister Jack Lew jetzt tönt, er habe die „Schlacht“ gegen Schäuble gewonnen. Zumal auch in Deutschland angesichts hoher Staatseinnahmen und bevorstehender Wahlen der Ruf nach wachstumsfördernden Steuererleichterungen immer lauter wird. Unionsfraktionschef Volker Kauder verspricht bereits eine Entlastung von 15 Milliarden Euro vor allem für Familien und kleinere mittlere Einkommensbezieher.

Was liegt also näher auf dem G20-Gipfel, als ein Tauschgeschäft, das auch noch wirtschaftlich vernünftig wäre: Die Amerikaner schlucken ihren Ärger über die Steuerattacke auf Apple hinunter und setzen gemeinsam mit den anderen Wirtschaftsmächten Vorschläge im Kampf gegen die Steuervermeidung internationaler Konzerne um. Umgekehrt schluckt Schäuble seinen Spar-Stolz hinunter und lässt sich von einer vernünftigen Wachstumspolitik überzeugen. Mit diesem Deal von Hangzhou hätte die G20 zum ersten Mal seit dem Krisengipfel 2008 ihre Existenzberechtigung wieder bewiesen.

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