Görlachs Gedanken

Es geht um viel mehr als TTIP

Die Empörung um Geheimpapiere zum Freihandelsabkommen zeigt: Die Debatte darüber hat jede sachliche Ebene verlassen. Das ist ein Problem für uns alle – denn unpopuläre, aber sinnvolle Projekte dürfen nicht tabu werden.

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TTIP Quelle: REUTERS

Eines Tages könnte es ein Exemplar eines amerikanischen „Chlor-Hühnchens“ sogar in das Bonner Haus der Geschichte schaffen. Als ein Symbol dafür, wie Vorurteile und Panikmachen politische Projekte – in diesem Fall die Transatlantic Trade and Investment Partnership, kurz TTIP – diskreditieren, sogar blockieren können.

Teilweise ist die Politik daran selbst schuld: Jenseits von Hühnchen blickt man in der Debatte über dieses Abkommen auf ein ganzes Meer von Kommunikationspannen, von der gut die Hälfte darin bestehen, dass überhaupt nicht kommuniziert wurde. TTIP ist ein Projekt, das in Hinterzimmern gefertigt wird. Politiker, die in Berlin Akteneinsicht einfordern, posten abenteuerliche Geschichten in den sozialen Netzwerken, wie ihnen der Zugang zu der Information, über die sie letzten Endes abstimmen sollen, erschwert, wenn nicht gar verhindert wurde. So schafft man in der Bevölkerung keine Akzeptanz, sondern leistet umgekehrt dem unsäglichen Narrativ Vorschub, dass einige große Konzerne die Geschicke der Welt lenkten und mit TTIP ihre Interessen maximal sicherten.

Wer nicht für Verschwörungstheorien zu haben ist, für den mag ein anderer Aspekt an den TTIP-Verhandlungen der entscheidendere sein: dass nämlich nicht nur große Bauprojekte, sondern auch große politische Projekte in Zukunft nicht mehr oder nur sehr schwer möglich sein werden. Denn klar ist ja: ein Abkommen, ein Vertrag hat auch eine Seite, die, für eine bestimmte Zeit zumindest, der Geheimhaltung oder dem Stillschweigen unterliegt.

Alexander Görlach ist Affiliate der Harvard University. Quelle: Lars Mensel / The European

Manche Verhandlungen werden auch künftig, sollte ein Ergebnis gewünscht sein, ohne die Anwesenheit der Öffentlichkeit stattfinden müssen. Geheimhaltung mag bei einem Friedensvertrag oder einem Abkommen wie dem Atom-Abkommen mit dem Iran vielleicht eher akzeptiert werden als bei einem Wirtschaftsabkommen, aber auch da gilt: die verhandelnden Seiten sind darauf angewiesen, dass nicht Dritte, also Konkurrenten oder gar Widersacher, die Details künftiger Verabredungen kennen, während sie entstehen.

Und sie können durchaus auch mal kurzfristig unpopulär sein, langfristig aber großen Nutzen bringen, für Länder und für Bürger. Handelsabkommen sind dafür ein ideales Beispiel. Unsere Ökonomie besteht aus einer Vielzahl von Handelsabkommen, die gemeinsame Märkte und Zollerleichterung schaffen. Diese Abkommen erhöhen die Wettbewerbsfähigkeit der an ihnen partizipierenden Länder.

Sicher untervorteilt ein Abkommen Akteure, die nicht an dem Abkommen partizipieren. Umgekehrt hat kein Land nur ein Handelsabkommen, sondern eine Vielzahl davon. Und wer würde in Deutschland auf die Frage, welches Land die meisten dieser Freihandelsverträge unterzeichnet hat, auf Mexiko tippen (welches in der Tat hier Spitzenreiter ist)? Ein Multilateralismus, der zu einem Signum der Politik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geworden ist, hat sich in gleicher Weise in der Wirtschaft etabliert.

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