HSBC-Bankerin Helen Wong "China braucht eine stabile Mittelschicht"

Am Mittwoch beginnt in China der Parteitag der Kommunistischen Partei. HSBC-China-Chefin Helen Wong erklärt im Interview, warum sich Chinas Wirtschaft stabilisiert hat und welche Rolle die Neue Seidenstraße dabei spielt.

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Der HSBC Turm in Pudong, Shanghai. Quelle: REUTERS

WirtschaftsWoche: Frau Wong, über viele Jahre war China für westliche Unternehmen der Wachstumsmarkt Nummer Eins, die Hoffnungen haben die Realität oft noch übertroffen. Nun aber wirken viele ernüchtert. Ist der Boom vorbei?
Helen Wong: Ich sehe für westliche Unternehmen immer noch gute Chancen in China. Anfang vergangenen Jahres hatte sich das Wachstum in China verlangsamt, in der ersten Hälfte dieses Jahres wertete der chinesische Renminbi ab. Nun hat sich die Lage aber wieder längst stabilisiert, mit zuletzt 6,7 Prozent liegt das Wachstum leicht oberhalb des Plans und die Währung hat sich erholt. Ich rechne deshalb mit höheren Investitionen.

Zur Person

Große Teile des Wachstums sind aber über Kredite finanziert. Die hohen Schulden wecken erhebliche Zweifel an der Stabilität des chinesischen Booms.
Im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt ist China tatsächlich hoch verschuldet. Bei dieser Betrachtung wird aber übersehen, dass China mit 50 Prozent auch die höchste Sparrate der Welt hat. Zudem sind die privaten Unternehmen nicht hoch verschuldet und diese machen mehr als 70 Prozent der Wirtschaftsleistung aus. Stark über Kredite finanziert sind vor allem die Unternehmen in Staatseigentum.

Auch das ist ein Problem...
..., das die Regierung in Peking erkannt hat und das sie angeht. Sie will vorhandene Überkapazitäten abbauen und hat dafür zum Beispiel schon Zusammenschlüsse von Unternehmen durchgesetzt. Zudem will sie das Wachstum privater Unternehmen weiter fördern und dafür auch Investitionen aus dem Ausland erleichtern.

Bisher gibt es hier ein Ungleichgewicht. Chinesische Unternehmen können Firmen im Ausland kaufen. Andersherum funktioniert das nicht.
Das ist aber oft gar nicht das Interesse westlicher Unternehmen. China ist für sie vor allem ein Absatzmarkt, den sie sich mit Investitionen in Fabriken, Land und Arbeitskräfte erschlossen haben. Hier sind sie schon weit gekommen und die Hindernisse dabei sind überschaubar. HSBC etwa hat in China schon seit mehr als 150 Jahren eine Präsenz. Seit 2007 sind wir eine lokal integrierte Bank, die uns allein gehört und deren Geschäft wir in den vergangenen Jahren deutlich ausgebaut haben. Seit Juni sind wir die erste westliche Bank, die die Mehrheit an einem chinesischen Wertpapierhaus besitzt. Auch in anderen Sektoren werden Restriktionen fallen. Allerdings rechne ich auch dann nicht mit einer großen Übernahmewelle. Dafür sind viele chinesische Unternehmen inzwischen einfach zu groß.

Chinesische Unternehmen haben im vergangenen Jahr deutlich mehr Unternehmen im Ausland übernommen. Wird sich das fortsetzen?
Bei den meisten Übernahmen geht es um Technologien und Wissen, das in China so nicht vorhanden ist. Die Käufer wollen in erster Linie lernen und diese Erkenntnisse dann auf dem Heimatmarkt nutzen. Die übernommen Unternehmen gewinnen so einen leichteren Zugang zu einem großen Markt. Die Logik dahinter ist weiterhin intakt.

Die Regierung in Peking prüft Übernahmen aber mittlerweile deutlich kritischer.
Sie werden heute im Wesentlichen in drei Kategorien eingeteilt. Bei Technologien gibt es weiterhin kaum Restriktionen. Ein großer Zukauf wie die Übernahme des Saatgutherstellers Syngenta durch ChemChina wäre als auch künftig möglich. Bei spekulativeren Investitionen – etwa in Immobilien – schauen die Behörden genauer hin. Und zweifelhafte Branchen wie Glücksspiel sind ganz verboten.

Bei einigen Zukäufen der Vergangenheit hat sich die Logik aber kaum erschlossen. Konglomerate wie HNA und Anbang haben ziemlich wahllos expandiert.
Die Behörden prüfen, welchen Sinn die geplanten Übernahmen für die Unternehmen und damit auch für die Transformation der chinesischen Wirtschaft haben.

Die Entwicklung zu einem entwickelten Land ist ein gewaltiger Sprung. Wie groß ist die Gefahr, dass China daran scheitert?
China gilt immer noch als Werkbank der Welt, aber tatsächlich tragen Dienstleistungen schon heute mehr als die Hälfte zur Wirtschaftsleistung bei. Die Einkommen sind im Durchschnitt deutlich gestiegen, die Urbanisierung schreitet voran. Mit ihr wandelt sich auch die Wirtschaft, in den Städten arbeiten die Menschen weniger in Fabriken als in Branchen wie der Infrastruktur, dem Konsum und Dienstleistungen. Und die Gegend um Shenzen ist zu Recht als „Silicon Delta“ bekannt. Dort haben High-Tech-Unternehmen wie Huawei ihren Sitz. Der Wandel ist schon weit fortgeschritten, aber es gibt natürlich noch viel zu tun.

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