Manchester nach dem Anschlag „Das war so nah, das nimmt einen mit“

In Manchester hat ein Bombenattentat bei einem Pop-Konzert 22 Tote und 59 Verletzte gefordert. Passanten sprechen am Tag nach dem Anschlag von einer gespenstischen Atmosphäre. Die Stadt ist im Schockzustand.

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Der Anschlag ist in der Stadt zu spüren. Quelle: Reuters

Manchester Der Anschlag hat in Manchester überall Spuren hinterlassen. Über dem Stadtzentrum kreisen Hubschrauber, immer wieder rast ein Polizeiwagen durch die ansonsten leeren Straßen. Auf den Kreuzungen stehen Polizisten mit neongrünen Warnwesten, ihre Waffe im Anschlag. Die Sonne scheint.

Am Abend zuvor hatte ein Bombenanschlag die nordenglische Stadt erschüttert. Es war kurz nach 22.30 Uhr, als das amerikanische Popsternchen Ariana Grande gerade von der Bühne ging. Die 23-Jährige hatte vor einer ausverkauften Halle gestanden – 21.000 Menschen fasst die Manchester Arena. Vor allem Teenies waren zu dem Konzert der „Dangerous Woman Tour“ gekommen, viele in Begleitung ihrer Eltern. Dann eine Explosion. Panik brach aus, die Konzertbesucher versuchten aus der Halle zu flüchten. Ein Attentäter hatte sich in die Luft gesprengt. 22 Menschen kamen ums Leben. 59 Menschen wurden verletzt. Die Polizei geht von einem Terroranschlag aus.

Am Morgen danach ist die wenige Meter vor der Manchester Arena liegende nahegelegene Haltestelle Shudehill menschenleer. Polizisten patrouillieren vor den Gleisen, Mitarbeiter der Bahngesellschaft geben Auskunft. Die Straßenbahnen fahren nicht, trotzdem schallt eine Ansage durch die leere Ankunftshalle.

Eine etwa 60-jährige Frau erkundigt sich nach dem Weg, ihre Bahn fährt nicht. „Normalerweise ist es hier so lebendig, so voll“, erzählt sie, „das ist richtig gespenstisch hier.“ Von dem Anschlag hat sie im Fernsehen erfahren, eigentlich wollte sie gerade ausmachen und ins Bett gehen. „Ich kann das alles nicht verstehen“, sagt sie mit Tränen in den Augen. „Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen. Wer tut so etwas? Warum?“

Ein paar Meter weiter, direkt vor dem weitläufig abgesperrten Gelände der Konzertarena, stehen zwei Mädchen mit einem Poster von Ariana Grande in den Händen. Die 12-jährige Naomi mit ihrer 15-jährigen Schwester Brooke. Sie seien  „Riesenfans“ von Ariana Grande, erzählt ihre Mutter Michelle. „Seit einem Jahr hatten wir die Tickets für das Konzert“, sagt sie. „Wir sind extra aus der Nähe von Leeds gekommen. Und dann das“, erzählt sie und ihre Stimme wird wacklig. „Es war schrecklich. Auf einmal haben wir einen Knall gehört und alle sind weggerannt. Es war furchtbar. Es war dunkel, wir haben uns an den Händen gehalten und sind gerannt. Da waren so viele Mädchen mit Blut im Gesicht, es war einfach schrecklich. Wir haben die ganze Nacht nicht geschlafen, wir haben uns immer wieder gefragt, was, wenn wir nicht mehr rausgekommen wären?“ Ihr Auto befindet sich im abgesperrten Bereich, deswegen konnten sie noch nicht nach Hause fahren. „Heute morgen haben wir dann diese schrecklichen Bilder gesehen, da waren Mädchen dabei, die standen gestern noch neben uns. Wir wollen einfach nur noch nach Hause.“

Der Anschlag ist in der Stadt zu spüren. Schon einmal war in Manchester eine Bombe explodiert, 1996 zündete die IRA eine Bombe in der Innenstadt. Viele der aktuellen Opfer waren da vermutlich noch nicht einmal geboren. Die Menschen laufen mit gesenktem Kopf an den Absperrungen vorbei, vorbei an den unzähligen Kamerateams, die von dem Anschlag berichten. Eine asiatische Reporterin übt den Namen der amerikanischen Künstlerin „Adriana?“, fragt sie ihren Begleiter. „Ariana“, antwortet dieser.

Philip und Leon sind auf Klassenfahrt in Manchester und waren gerade in einem Pub, als sie eine SMS bekamen. Sie sollen so schnell wie möglich zurück in die Jugendherberge kommen, schrieb ihr Lehrer. „Es waren Sirenen zu hören, überall war Polizei und auf den Straßen standen Menschen die weinten“, erzählen die beiden 18-Jährigen aus Hameln. „So etwas hautnah mitzuerleben, ist schlimm“, sagt Philip. Sie hätten zuvor eine Superzeit in Manchester gehabt – mit freundlichen, offenen Menschen. Anders als der asiatischen Journalistin ist ihnen auch der Name Ariana Grande ein Begriff. „Klar, die ist ein Star“, sagt Leon.

Ein junger Mann im Anzug ist auf dem Weg in die Innenstad, knapp 30 dürfte er sein und damit nicht zu den Fans von Ariana Grande gehören. „Es waren Leute aus meiner Familie da“, sagt er leise und dreht sich weg. Er hat Tränen in den Augen. „Das war so nah, das nimmt einen mit.“

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