Die Europäer wirken ratlos. Nach dem Referendum in der Türkei forderte die EU-Kommission die türkischen Behörden auf, Vorwürfe über Wahlmanipulationen zu entkräften. Erforderlich seien „transparente Untersuchungen“ hieß es aus Brüssel.
Auch von der deutschen Bundesregierung kam ein erwartbarer Appell. „Der knappe Ausgang der Abstimmung zeigt, wie tief die türkische Gesellschaft gespalten ist“, erklärten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Sigmar Gabriel (SPD). Die Bundesregierung erwarte von der Regierung in Ankara, dass diese „nach einem harten Referendumswahlkampf einen respektvollen Dialog mit allen politischen und gesellschaftlichen Kräften des Landes sucht“.
Die Debatte dürfte sich schon bald verschärfen, sollte Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan seine Ankündigung wahrmachen, die Todesstrafe wieder einzuführen. Und je länger Welt-Journalist Deniz Yücel in türkischer Untersuchungshaft sitzt, desto lauter wird innerhalb Deutschlands die Frage, ob und wie die Bundesregierung die Türkei unter Druck setzen kann.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte kürzlich bereits vereinbarte wirtschaftliche Hilfsmaßnahmen für die Türkei wegen der Verhaftung Yücels infrage gestellt. „Wir waren gut unterwegs, doch dann kam diese Verhaftung“, sagte Schäuble. „Das macht es jetzt wahnsinnig schwer.“ Kurz: Keine Wirtschaftshilfen ohne eine Freilassung Yücels. Und das ist nicht der einzige Hebel. Möglichkeiten, die Türkei unter Druck zu setzen:
Erstens – Geld: Im vergangenen Jahr stellte allein Deutschland 376 Millionen Euro Entwicklungsmittel für die Türkei bereit - überwiegend als Darlehen der staatlichen Förderbank KfW. Die EU hat der Türkei zwischen 2014 und 2020 insgesamt 4,5 Milliarden Euro Entwicklungshilfe versprochen, darunter 1,5 Milliarden für die Förderung von Demokratie und Menschenrechten. Hinzu kommen weitere sechs Milliarden Euro, um die rund drei Millionen syrischen Flüchtlinge zu versorgen, die in der Türkei leben. Deutschlands Anteil daran liegt bei einer knappen Milliarde Euro.
Natürlich könnten die Europäer hier kürzen, doch Ökonom Erdal Yalcin vom Münchner ifo Institut warnt: „Die Frage wäre doch, ob wir damit wirklich Erdoğan und nicht vielmehr der türkischen Bevölkerung und den Flüchtlingen schaden.“
Zweitens – Handel: Die Türken wünschen sich mehr zollfreien Handel mit den Europäern. Mitte Februar war der türkische Vizepremier Mehmet Simsek zu Besuch in Berlin, um eine Vertiefung der Zollunion auszuloten. Türkeiexperte Yalcin hat ausgerechnet, dass das türkische Bruttoinlandsprodukt innerhalb von zehn Jahren um über 1,8 Prozent zusätzlich wachsen könnte, wenn der freie Handel nicht nur für die Industrie gelte, sondern auch für Agrar- und Dienstleistungen. Im besten Fall stiegen türkische Exporte in die EU um 70 Prozent.
Doch die Bundesregierung mauert. „Die Zollunion leidet zunehmend unter Importbeschränkungen und Handelsbarrieren der Türkei“, teilte das Bundeswirtschaftsministerium auf Anfrage mit. Die Verhandlungen gehen zwar trotz der aktuellen diplomatischen Streitigkeiten weiter. Die vertiefte Zollunion, die die EU absegnen müsste, könnte aber zum entscheidenden Hebel werden, um Erdoğan unter Druck zu setzen. „Schon die Drohung, die Zollunion nicht zu vertiefen, würde die türkische Lira auf Talfahrt schicken“, sagt Yalcin.
Drittens – Sanktionen: Die europäischen Verträge stünden Sanktionen nicht im Wege – und dank der kontrollierbaren Grenze wären Ausfuhrbarrieren auch kein Problem. Sie wären sogar höchst wirksam: „Die Türkei würde Sanktionen kaum verkraften“, sagt Yalcin. Fast die Hälfte der türkischen Exporte gehen in die EU, rund ein Zehntel alleine nach Deutschland, was die Bundesrepublik zum wichtigsten Handelspartner für die Türkei macht.