Nach der Bundestagswahl Deutschland sortiert Europa neu

Wenn in der kommenden Woche der Bundestag tagt, wird in der Europapolitik nichts mehr so sein wie vor der Wahl. Die AfD will die EZB verklagen, die SPD ändert ihren europapolitischen Kurs und Jamaika ringt um eine Basis.

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Nach der Bundestagswahl ist in der Europapolitik nichts mehr so wie vorher. Quelle: dpa

Berlin Die AfD hat sich gleich einen kleinen Paukenschlag ausgedacht. Wenn am kommenden Dienstag der Bundestag zusammenkommt, provoziert die neu ins Parlament gewählte Partei gleich mit ihrem ersten Antrag. Die AfD sieht die Staatsanleihen-Aufkäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) als eklatanten Rechtsbruch. Die Forderung an die Bundesregierung: Sie solle „beim Europäischen Gerichtshof Klage erheben gegen sämtliche Beschlüsse des EZB-Rates seit Januar 2015“.

Natürlich wird der Antrag keine Mehrheit bekommen. Aber er gibt schon mal einen kleinen Vorgeschmack darauf, wie Bundestagsdebatten über die Zukunft Europas künftig ablaufen werden: Deutlich kontroverser und unübersichtlicher als früher. Und das längst nicht nur wegen der AfD.

Nach der Wahl ist in der Europapolitik nichts mehr so wie vorher. Die Grünen müssten sich in einer neuen Jamaika-Regierung nun mit der Union abstimmen, deren Europapolitik sie jahrelang scharf kritisiert hat. Der FDP war anders als den Grünen die Europapolitik der Union nicht zu hart, sondern zu weich, die gefassten Beschlüsse in Richtung Vergemeinschaftung halten die Liberalen für gefährlich. Nun könnten sie künftig gezwungen sein, solch unliebsame Beschlüsse mitzutragen. Und dann ist da noch die SPD, die gerade in der Europapolitik einen Schwenk einleitet.

Als die SPD das letzte Mal in der Opposition war, erreichte die Euro-Krise gerade ihren Höhepunkt. Die Sozialdemokraten verhielten sich ganz staatsmännisch und stimmten den Rettungspakten für Euro-Staaten zu, auch, als Angela Merkel eine Kanzlermehrheit von Schwarz-Gelb verfehlte. Doch auf so viel Zustimmung von der SPD sollte sich die mögliche neue Regierung besser nicht verlassen. So will die SPD am Dienstag einem Antrag im Bundestag nicht zustimmen, wonach Irland einen Anleihentausch vornehmen darf. Irland war wie vier andere Euro-Länder vor einigen Jahren unter den Euro-Rettungsschirm geschlüpft und schleppt aus dieser Zeit noch einige Verbindlichkeiten mit sich herum. Ein solcher Anleihentausch ist eigentlich unstrittig, es senkt die Zinslast des entsprechenden Landes ohne Folgen für die europäischen Steuerzahler, ein ähnlicher Antrag Portugals ging erst vor wenigen Monaten reibungslos durch den Bundestag.

„Wir werden mit dem Antrag nicht zustimmen“, erklärte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider, aber nun. Der Grund: Irland sei quasi eine Steueroase. Das Land habe nicht auf Aufforderungen der EU-Staaten reagiert, sein „Dumping-Unternehmensteuersatz“ von 12,5 Prozent anzuheben, so Schneider. Solange das nicht geschehen sei, werde man dem Antrag nicht zustimmen. Schneider betonte, dies gelte auch für den Extremfall. Sollte also ein Euro-Land in Zukunft ein Rettungsprogramm brauchen, das aus Sicht der SPD als Steueroase einzustufen ist, wird die Partei dessen Rettung nicht zustimmen.


Europa ist ein schwieriges Thema für die Jamaika-Sondierer

Im Jamaika-Lager sorgt diese Neupositionierung für Verwunderung. Ein CDU-Finanzpolitiker bezeichnete die Entscheidung als „peinlich“. Bei den Grünen heißt es, es sei doch „arg verwunderlich“, dass die SPD glaube, mit einem Veto bei solch einer Entscheidung Irland in der Steuerpolitik unter Druck setzen zu können.

Allerdings sind sich die Jamaika-Unterhändler in der Europapolitik untereinander auch nicht grün. Zwar hat die FDP inzwischen ihre Position aus dem Wahlkampf geräumt, wonach der Euro-Rettungsschirm ESM aufgelöst werden soll. Aber sonst herrscht unter den Parteien in den Sondierungen munterer Streit, wie das jüngste Sondierungspapier zu Europa aufzeigt.

So halten es Union und auch Grüne für durchaus möglich, auf europäischer Ebene einen so genannten Stabilitätsmechanismus zu schaffen, um „außergewöhnliche, unvorhersehbare wirtschaftliche Notsituationen, die sich der Kontrolle eines einzelnen Mitgliedstaates entziehen, abzufedern“, wie es in dem Papier heißt. Auch eine „schrittweise Vollendung der Bankenunion“ können sich beide Parteien vorstellen, wenn dabei die Besonderheiten von Sparkassen und Genossenschaftsbanken berücksichtigt werden.

Die FDP dagegen lehnt beides ab. „Wir befürworten keinen Stabilitätsmechanismus zur Abfederung von Auswirkungen wirtschaftlicher Erschütterungen“, heißt es in dem Sondierungspapier. Und zur Bankenunion schreiben die Liberalen: „Ein europäisches Einlagerungssicherungssystem lehnen wir ab.“ Der Grünen-Finanzpolitiker Gerhard Schick äußert sich kritisch zu den bisherigen Ergebnissen zur Europa-Politik. Maßstab müsse sein, dass mit einer anderen Finanzpolitik die EZB endlich ihre extremen Maßnahmen zurückfahren könne, sagte er. „Ich mache mir Sorgen, ob wir mit Jamaika diese Ziele erreichen können.“

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