Österreich und USA Eine doppelte Dosis Unglück

Der Populist Trump hat in den USA triumphiert. Folgt ihm nun Norbert Hofer in Österreich? Handelsblatt-Redakteur Christopher Cermak besitzt beide Staatsbürgerschaften – und sieht beängstigende Parallelen. Ein Kommentar.

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Ein Erfolg für Norbert Hofer (rechts) hätte hohe Symbolkraft für Rechtspopulisten weltweit. Quelle: Reuters

Berlin Im Jahr 2002, kurz vor den Stichwahlen zur Präsidentschaft in Frankreich, hängten Sozialisten in Lille ein Poster auf mit dem Spruch, „Wählt den Betrüger, nicht den Faschisten!“

Dieses Poster spiegelte ungefähr die Stimmung der Öffentlichkeit damals wider. Um die Präsidentschaft konkurrierten der Konservative Jaques Chirac, der gegen Korruptionsvorwürfe kämpfen musste, und der Rechtsextremist Jean-Marie Le Pen, der so ziemlich alles Übel in Frankreich auf Immigranten und Muslime zurückführte.

Heute, über ein Jahrzehnt später, müssen sich Wähler nicht nur in Frankreich, sondern auf beiden Seiten des Atlantiks ähnlich schwierige Entscheidung stellen. Ich weiß, wovon ich spreche. Mein Vater ist Österreicher und meine Mutter Amerikanerin. Ich besitze sowohl die österreichische als auch die amerikanische Staatsbürgerschaft.

In den vergangenen Wochen habe ich an zwei definitiv uninspirierenden Wahlen teilgenommen – eine in Europa und eine in Amerika. Obwohl die beiden Länder mehrere Tausend Kilometer voneinander entfernt sind, nehmen sie sich nicht viel an Unzufriedenheit, Misstrauen und Dystopie.

In beiden Ländern sind die Wähler wütend und wollen Veränderung. Die Aussicht der Machtergreifung eines extrem rechten Kandidaten liegt in beiden Ländern sehr nah und ist das Resultat einer tobenden Welle des Nonkonformismus.

In den USA ist die Entscheidung dafür schon gefallen. In Österreich fällt sie heute. Auch hier könnte in einigen Tagen der erste rechtsextreme Kandidat seit dem zweiten Weltkrieg an die Spitze eines westeuropäischen Lands gelangen.

Einer muss immer gewinnen. In den USA war es tatsächlich Donald Trump. Fakt ist aber, dass die Mehrheit der Wähler weder Donald Trump noch Hillary Clinton haben wollten. Insgesamt haben weniger Wähler gewählt als seit 1996. In Deutschland würde man eine solche Entscheidung eine Wahl zwischen Pest und Cholera nennen.

Für mich war das weit entfernt von dem, was ich 2008 in den USA erlebt habe. Damals lebte ich noch in Washington. Die Amerikaner mussten sich zwischen John McCain, dem unbestrittenen Kriegshelden aus Vietnam, und dem ersten afroamerikanischen Präsidentschaftskandidaten, Barack Obama, entscheiden. Das war inspirierend. Auf dem Cover des „Economist“ war damals zu lesen: „Amerika in Bestform“.

Dieses Jahr sah das Cover des Magazins anders aus. Viele Amerikaner sahen sich gezwungen, sich entscheiden zu müssen zwischen einer korrupten Politikerin aus dem Establishment und einem instabilen populistischen Outsider, der radikale Veränderungen verspricht, die er wahrscheinlich nicht halten kann.

In Österreich ist an diesem Sonntag die Wahl ebenfalls entmutigend. Es soll der österreichische Präsident gewählt werden, eine Rolle, die zwar lediglich zeremoniell ist, aber dennoch einen hohen symbolischen Charakter hat. Es bleibt laut Umfragen extrem knapp zwischen dem rechtsextremen Kandidaten Norbert Hofer von der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) und den ehemaligen Chef der Grünen, Alexander Van der Bellen.

Keiner von beiden gehört den zwei Parteien der Mitte an, welche die österreichische Politik in der modernen Ära dominiert haben: die konservative Österreichische Volkspartei (ÖVP) und die Sozialdemokratische Partei Österreichs (SPÖ).


Für die USA ist der Populismus neu

Ähnlich wie in den USA war auch der österreichische Wahlkampf besonders unangenehm. Eine Debatte zwischen den beiden Kandidaten im Mai verlief kompromisslos. Stellen Sie sich Hillary Clinton und Donald Trump vor, wie sie sich ohne Moderator anbrüllen, ungehobelt gestikulieren und am Ende über die Frage streiten, welche der jeweiligen Ehefrauen den Wahlkampf mehr unterstützt hat.

Wie viele Amerikaner sind auch die Österreicher vom Status Quo genervt. Die beiden Parteien der Mitte haben das Land mit einer Großen Koalition seit einem Jahrzehnt regiert. Wähler sind die alten ungelösten Probleme, die ineffizienten Lösungen und die immer gleichen Gesichter satt.

Wie in den Staaten schürt die extreme Rechte auch hier Ängste vor Immigration und Globalisierung. Die Arbeitslosigkeit lag im August bei 8,3 Prozent – dem höchsten Stand seit den 1950er-Jahren. Das Land hat Tausende von Flüchtlingen aus dem Nahen Osten aufgenommen.

Der aufkeimende Populismus in den USA ist im Vergleich zu Österreich relativ neu. Die rechtsextreme FPÖ, die ihre Basis im Bundesland Kärnten hat, nahe der slowenischen und italienischen Grenze, hat schon in den 1980ern eine fremdenfeindliche und aggressive Kampagne gegen Einwanderer geführt.

Bis zu seinem Tod 2008 wurde die Partei von Jörg Haider geführt, einem charismatischen Redner, der die von der technokratischen Langeweile der etablierten Parteien überdrüssigen Mengen in seinen Bann zog. Im Jahr 2000 war die FPÖ zur zweitstärksten Partei herangewachsen. Daraufhin tat sich die ÖVP mit ihnen zu einer Koalition zusammen.

Diese politische Verbindung legitimierte die FPÖ in Österreich und brach ein Tabu, nämlich mit einer rechtsextremen Partei eine Koalition einzugehen. Österreich wurde geächtet und die Europäische Union leitete diplomatische Sanktionen gegen das Land ein, die es ihren Diplomaten verbot, sich in Brüssel zu treffen.

Aber die Populisten haben nicht lange durchgehalten. Streitigkeiten haben die FPÖ zerrissen. Ein moderater Flügel formte sich und half den Konservativen, die Regierung aufrechtzuerhalten. Die FPÖ spaltete sich letztendlich. Der radikale Flügel gründete die Allianz für Österreichs Zukunft, die auf dem politischen Erbe von Jörg Haider beruht.

Während ich mich nun auf meine demokratischen Pflichten vorbereite und mir die Auswahl der Kandidaten anschaue, denke ich mir, Europa und die USA sind gar nicht so weit voneinander entfernt, wie viele immer sagen.

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