Peter Altmaier, Thea Dorn, Thomas Ostermeier "Die Welt macht uns schwindlig"

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"Wenn alles alternativlos ist,..."

Ostermeier: Und wenn die Menschen dann noch von externen Krisen behelligt werden, auf die die Politik mit Ratlosigkeit reagiert, wenn sie etwa zu hören bekommen, Banken seien „systemrelevant“ und müssten gerettet werden, während es zum Sparkurs der Griechen …

Dorn: … und zur Öffnung der Grenzen keine Alternative gegeben habe, dann sind das Eingeständnisse der Ohnmacht, auf die die Bevölkerungen zu Recht allergisch reagieren. Die Menschen wollen nicht hören, dass sie einer Situation nicht entkommen können – weil es zu ihrem Selbstverständnis gehört, ja: weil ihr Stolz darin besteht, nicht machtlos zu sein.

Ostermeier: Wenn alles alternativlos ist, sucht man sich eben jemanden, der doch noch eine Alternative bietet.

von Marc Etzold, Dieter Schnaas, Gregor Peter Schmitz

Altmaier: Ach, alternativlos ist nur der Tod. In der politischen Debatte gibt es immer Alternativen. Beispielsweise gibt es die Möglichkeit, Griechenland vor die Hunde gehen zu lassen. Und zu der Alternative, die eigene Wettbewerbsfähigkeit durch Reformen wiederzugewinnen, gibt es die Option, auf Reformen zu verzichten und damit den Wohlstand der eigenen Bevölkerung aufs Spiel zu setzen. Auch gibt es zur Demokratie die Alternative totalitärer Systeme – aber sind wir im politischen Diskurs nicht eigentlich schon viel weiter? Haben wir nicht seit den Fünfzigerjahren gelernt, dass wir zur Demokratie keine Alternative wollen? Und haben wir uns seit dem Fall des Eisernen Vorhangs nicht darauf verständigt, dass die Marktwirtschaft das beste uns bekannte Wirtschaftsmodell ist? Was natürlich nicht ausschließt, dass Märkte auch Grenzen brauchen. Die Banken- und Börsenkrise hat gezeigt, dass die Politik imstande ist, den Märkten Zügel anzulegen.

Ostermeier: Aber das war doch völlig ungenügend.

Altmaier: Das ist Ihre Auffassung. Zu ihrer Verbreitung können Sie eine Partei gründen oder demonstrieren – und wenn genügend Leute mitlaufen, wird Ihre Auffassung zu einer Macht. Fest steht, dass etwa Occupy diese Macht nicht mehr hat. Und dass die Wähler auch das Interesse an Wolkenkuckucksheimen wie dem bedingungslosen Grundeinkommen verloren haben.

Ostermeier: Das bedingungslose Grundeinkommen, lieber Herr Altmaier, werden auch Sie noch eines Tages verteidigen – spätestens dann, wenn in den Fabriken nur noch Roboter stehen, die die Produkte herstellen, und keine Arbeiter, die mit dem Lohn, den sie bekämen, diese Waren kaufen könnten. Dann wird auch der letzte Kapitalist vom bedingungslosen Grundeinkommen überzeugt sein.

Altmaier: Auch die Fabriken müssen fabriziert werden. Von Menschen. Sie müssen mit Rohstoffen gefüttert werden, die Menschen gewinnen. Das Ende der Arbeit wird nie kommen.

Herr Ostermeier, ist die Linke nicht einfach deshalb so melancholisch und müde geworden, weil sie im Kampf gegen den Kapitalismus immer und immer wieder den Kürzeren zieht? Weil ein Kapitalist erst einmal den Wohlstand erwirtschaften muss, den ein Linker danach theoretisch wieder verteilen könnte?

Ostermeier: Die Linke reagiert nicht mit Melancholie auf Kapitalismus und Globalisierung. Im Gegenteil. Sie kann sich versammeln hinter einer langen Geschichte von Internationalismus. Lange vor der Globalisierung hat sich die Linke international orientiert und den Nationalismus als Herrschaftsinstrument dekonstruiert. Damit macht sie deutlich, dass Grenzen nicht zwischen Völkern verlaufen, sondern zwischen Oben und Unten. Dieser Kampf ist noch lange nicht entschieden.

Dorn: Die Linke. Ich höre immer „Die Linke“. Was ist das denn? Die Linken, das waren einmal die, die ihr Schicksal nicht annehmen wollten, sondern im Zweifel zornig auf Veränderungen drängten. Die gesagt haben, dass ein Arbeiterkind auch Arzt werden kann und werden soll. Doch die Trennung zwischen Rechten und Linken gibt es nicht mehr. Gäbe es sie, müssten heute vor allem die Konservativen gegen diesen Turbokapitalismus anrennen. Auf diesen Aufstand werden wir wohl vergeblich warten – wenn das mal keine Ohnmacht ist.

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