Rubel im freien Fall Russland vor dem Crash?

Panik greift um sich im Moskauer Devisenhandel. Seit Tagesbeginn verliert der Rubel zu Euro und Dollar ein Fünftel seines Werts, trotz der Leitzins-Erhöhung vom Vortag. Die Wirtschaft rast dem Crash entgegen – auch wegen der Politik des Kremls.

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Ein-Rubel-Münze Quelle: dpa

Schwindelig wird einem am frühen Dienstagnachmittag beim Blick auf den Rubelkurs: 13, 14, 15, 16, 17 – ja, fast 20 Prozent gibt die russische Landeswährung zu Euro und Dollar nach. Dabei war die einst starke Währung des Öl- und Gaslieferanten aus dem Osten schon am „schwarzen Montag“ um mehr zehn Prozent abgesackt. Die drastische Leitzins-Erhöhung um 7,5 Prozentpunkte, mit der Notenbankerin Elvira Nabiullina am Montagabend die schlimmste Talfahrt seit 1998 stoppen wollte, verpuffte bis zum Mittag völlig. Dieser Dienstag, so sieht es aus, dürfte noch viel schwärzer werden.


Ungebremst rast Russland in einen Wirtschaftscrash, wie ihn das Land zuletzt 1998 erlebte. Damals waren sowohl Staat als auch Unternehmen im Ausland hoch verschuldet. Als in Folge der Asienkrise die Zinslast nicht mehr zu stemmen war, brach der Rubelkurs zusammen – und das Land kollabierte.

Putins Folterwerkzeuge im Sanktionskrieg

Heute dürfte es nicht gar so schlimm werden. Die russische Regierung hortet immerhin Währungsreserven im Umfang von mehr als 400 Milliarden Dollar. Das ist bis auf weiteres genug, um den gefürchteten „Default“ zu verhindern. Allerdings ist der Rubel jetzt viel tiefer in den Abwärtssog geraten als während der Konjunkturkrise 2008/09, als Russlands Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 7,8 Prozent schrumpfte. Die Notenbank rechnet bereits mit einem BIP-Minus von 4,5 Prozent, während der (angezählte) Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew stoisch an seiner optimistischen Prognose von 0,8 Prozent festhält. Bloß keine Panik provozieren, selbst wenn sie längst da ist. So lautet im Moment die Devise.


Vordergründig hat Elwira Nabiullina Recht, wenn sie den Rubel-Verfall auf äußere Faktoren zurückführt. Der halbierte Ölpreis, der nun schon unter 60 Dollar notiert, ist der Hauptgrund für die dramatische Lage – und dafür kann Moskau nun wirklich nichts. Saudi-Arabien hält die Förderung künstlich hoch, um die Schieferöl-Pioniere der USA aus dem Markt zu kegeln. Deren Investitionen lassen sich nicht finanzieren, wenn wegen eines Überangebots an Erdöl die Preise zu niedrig sind. Für Russland kommt diese Politik zur Unzeit, denn aktuell laufen seitens des Westens Sanktionen gegen russische Banken, die sich deswegen kurzfristig kaum mehr im Ausland refinanzieren können.

Welchen Staaten der niedrige Ölpreis besonders schadet
Erdölförderung Quelle: dpa
Ölförderung in Saudi-Arabien Quelle: REUTERS
Ölförderung in Russland Quelle: REUTERS
Oman Ölpreis Quelle: Richard Bartz - eigenes Werk. Lizenziert unter Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 über Wikimedia Commons
Öl-Leitung im Niger-Delta Quelle: dpa
Ölförderpumpe in Bahrain Quelle: AP
Venezuela Ölförderung Quelle: REUTERS

Beim genaueren Hinschauen wird aber offenbar: Der Absturz der russischen Wirtschaft ist vor allem Folge einer fahrlässigen Politik des Kremls. Seit Jahr und Tag warnen Ökonomen, die russische Wirtschaft und der Staatshaushalt seien auf gefährliche Weise abhängig von Öl- und Gasexporten. Präsident Wladimir Putin versprach immer wieder, Abhilfe zu schaffen. Mehr noch fabulierte dessen Platzhalter im Kreml, Dmitri Medwedew, von Modernisierung, Privatisierung, Diversifizierung der Wirtschaft.

Allein, es blieben stets Lippenbekenntnisse. Stattdessen stieg der Staatsanteil an der Wirtschaft von einem Drittel in 2006 auf heute mehr als 50 Prozent.
Zudem kommen die Sanktionen des Westens nicht ohne Grund daher. Offensichtlich ist seit Sommer, dass Russland den Krieg im Osten der Ukraine mit Waffen und personeller Hilfe schürt – mit dem Ziel, ein souveränes Nachbarland zu destabilisieren. Lange bevor die Sanktionen der EU in Kraft traten, gaben Brüssel und Berlin einen Warnschuss nach dem anderen ab. Man hätte das in Moskau ernster nehmen müssen. Stattdessen relativiert man die mit der Krim-Annexion begonnene Attacke auf die europäische Sicherheitsarchitektur mit dem Fingerzeig auf Völkerrechtsbrüche der USA. Ja, auch der Kreml hätte gegen Amerika wegen der Irak-Invasion ebenfalls Sanktionen verhängen können – aber hier und jetzt geht es um die Ukraine.

Was ist „Neurussland“?

Notenbankerin Elwira Nabiullina, die als eine der letzten Liberalen im elitären Zirkel um Wladimir Putin gilt, ruft die Russen zur Adaption der neuen Verhältnisse auf: Man müsse verstärkt auf heimische Finanzierungen setzen und die Importe substituieren. Wobei sie besser als viele andere weiß, wie unmöglich das ist: Ein Land der Größe Russlands ist im 21. Jahrhundert eng in die globalen Wirtschaftsstrukturen eingebunden – ob einem das politisch gefällt oder nicht. Man kann nicht einfach das heimische Bankenwesen anzapfen, wenn sich selbst ein Riese wie die Sberbank im Ausland refinanzieren muss. Ohne die Globalisierung trocknet auch das russische Finanzwesen aus.

Wo deutsche Unternehmen in Russland aktiv sind
E.On-Fahnen Quelle: REUTERS
Dimitri Medwedew und Peter Löscher Quelle: dpa
Dem Autobauer bröckelt in Russland die Nachfrage weg. Noch geht es ihm besser als der Konkurrenz. Martin Winterkorn hat einige Klimmzüge machen müssen - aber theoretisch ist das Ziel erreicht: Volkswagen könnte in Russland 300.000 Autos lokal fertigen lassen. Den Großteil stellen die Wolfsburger in ihrem eigenen Werk her, das 170 Kilometer südwestlich von Moskau in Kaluga liegt. Vor gut einem Jahr startete zudem die Lohnfertigung in Nischni Nowgorod östlich Moskau, wo der einstige Wolga-Hersteller GAZ dem deutschen Autoriesen als Lohnfertiger zu Diensten steht. Somit erfüllt Volkswagen alle Forderungen der russischen Regierung: Die zwingt den Autobauer per Dekret dazu, im Inland Kapazitäten aufzubauen und einen Großteil der Zulieferteile aus russischen Werken zu beziehen. Andernfalls könnten die Behörden Zollvorteile auf jene teuren Teile streichen, die weiterhin importiert werden. Der Kreml will damit ausländische Hersteller zur Wertschöpfung vor Ort zwingen und nimmt sich so China zum Vorbild, das mit dieser Politik schon in den Achtzigerjahren begonnen hat. Die Sache hat nur einen Haken: Die Nachfrage in Russland bricht gerade weg - nicht im Traum kann Volkswagen die opulenten Kapazitäten auslasten. 2013 gingen die Verkäufe der Marke VW um etwa fünf Prozent auf 156.000 Fahrzeuge zurück. Wobei die Konkurrenz stärker im Minus war. Hinzu kommt jetzt die Sorge um die Entwicklungen auf der Krim. VW-Chef Martin Winterkorn sagte der WirtschaftsWoche: "Als großer Handelspartner blicekn wir mit Sorge in die Ukraine und nach Russland." Er verwies dabei nicht nur auf das VW-Werk in Kaluga, sondern auch auf die Nutzfahrzeugtochter MAN, die in St. Petersburg derzeit ein eigenes Werk hochfährt. Der Lkw-Markt ist von der Rezession betroffen, da die Baukonjunktur schwächelt. Quelle: dpa

Eben deshalb ist es so dramatisch, dass der russische Markt infolge der Großmannssucht von Wladimir Putin dramatisch an Vertrauen verloren hat. Investoren wähnen ihr Geld in diesem Riesenreich mit dem willkürlichen Rechtsverständnis nicht mehr sicher. Nicht zufällig fließt Kapital ab, der Rubel kracht zusammen. Es ist zu befürchten, dass der Rubel an diesem „schwarzen Dienstag“ noch nicht an seinem Tiefpunkt angekommen ist.
Russland hängt am Tropf von Öl und Gas wie ein Junkie an der Nadel.

Über Jahre wurde es versäumt, eine leistungsfähige Industriestruktur aufzubauen – eine, die Arbeitsplätze schafft und mit Qualität auch am Weltmarkt überzeugen kann. Weil Russland kaum mehr produziert, ist das Land völlig von Importen abhängig. Selbst Lebensmittel muss die Agrargroßmacht zum großen Teil importieren. Und alles das wird durch den superbilligen Rubel jetzt wahnsinnig teuer. Die Inflation wird rasant ansteigen. Und so bekommen die einfachen Russen die Quittung für eine über Jahre miserable Wirtschaftspolitik. Bedanken können sie sich bei Wladimir Putin.

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