Russland Wie Moskau mit der deutschen Flüchtlingskrise Propaganda macht

Moskauer Medien berichten viel über Deutschlands Probleme mit den Flüchtlingen. Im Vergleich kann Russland gut aussehen. Doch einige Horrorgeschichten sind schlicht gefälscht

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"Viele die zu uns kommen, werden begeisterte Deutsche sein"
„Einfach zu sagen, in unserer Zeit lassen sich 3000 Kilometer Grenze nicht mehr schützen, ist eine Kapitulation des Rechtsstaats vor der Realität. Wenn wir die Grenzen nicht sehen, wird uns die Bevölkerung die Grenzen aufzeigen.“ Horst Seehofer, bayrischer Ministerpräsident (CSU), zur Äußerung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die EU-Außengrenzen ließen sich nicht effektiv schützen Quelle: dpa
„Heiße Luft! Wir haben keine Zeit, uns mit solchen Verbalattacken auseinanderzusetzen.“ Heiko Maas, Bundesjustizminister (SPD), zur angedrohten Verfassungsklage wegen der Flüchtlingskrise durch Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) Quelle: dpa
„Transitzonen an den Landesgrenzen stehen grundsätzlich im Einklang mit einer EU-Verfahrensrichtlinie.“ Volker Kauder, Unionsfraktionschef (CDU), zur Regulierung der Flüchtlingsströme Quelle: dpa
Peter Altmaier Quelle: dpa
„Wir erleben in Europa einen Wettlauf der Schäbigkeit. Europa ist reich.“ Claudia Roth, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages (Grüne), zum Verhalten der EU-Länder bei der Regulierung der Flüchtlingsströme Quelle: dpa
„Wir müssen uns stärker einmischen. Außen- und Innenpolitik verschwimmen immer mehr. Was wir draußen nicht geregelt kriegen, macht uns drinnen Probleme.“ Angela Merkel, Bundeskanzlerin (CDU), über die Rolle Deutschlands Quelle: AP
„Die Sorge vor einem Abrutschen der Weltwirtschaft in eine neuerliche Krise ist überzogen.“ Jürgen Fitschen, Co-Chef der Deutschen Bank, über die Wachstumsschwäche von Schwellenländern Quelle: dpa

Wissen russische Medien mehr als die deutsche Polizei? „Russische Deutsche überfallen Flüchtlingsheim in Deutschland“, berichtete das Moskauer Sensationsblatt „Sowerschenno Sekretno“ (Streng geheim) vergangene Woche. Weil die deutschen Behörden hilflos seien gegen Flüchtlinge, hätten etwa 400 russischstämmige Männer zur Selbsthilfe gegriffen und mit Baseballschlägern ein Heim in Bruchsal bei Karlsruhe aufgemischt.

Wenn die Geschichte einen wahren Kern haben sollte, ist er um das Hundertfache übertrieben. Nach Polizeiangaben haben vier Männer am Samstag, 16. Januar, im Nachbarort Karlsdorf-Neuthard ein Fenster in einer Flüchtlingsunterkunft eingeworfen, Sachschaden 300 Euro.

So benehmen Sie sich in Russland richtig

Doch der Artikel ist typisch. Spätestens seit den Übergriffen von Köln in der Silvesternacht wird Deutschland in russischen Medien als Land kurz vor dem Zusammenbruch dargestellt. „Die Ereignisse von Köln haben die Gesellschaft gespalten“, heißt es beim TV-Sender Rossija24. „Immer weniger Menschen glauben, dass die Migranten keine Gefahr darstellen.“ Bürgerwehren seien an der Tagesordnung.

Die propagandistische Botschaft der vom Kreml gesteuerten Medien: Europa ist schwach, ein unsicherer Ort, überrannt von Fremden. „Entweder die neue Völkerwanderung wird gestoppt, oder Europa muss untergehen“, sagte der nationalistische Politiker Wladimir Schirinowski dem Boulevardblatt „Komsomolskaja Prawda“. Verglichen damit scheint Russland unter Präsident Wladimir Putin glänzend dazustehen - auch wenn der Rubel abstürzt, die Einkommen sinken und das Land Krieg führt in Syrien und verdeckt in der Ukraine.

Vor allem die großen Fernsehsender beeinflussen nicht nur das Publikum in Russland. Sie werden auch von vielen der etwa 2,3 Millionen Menschen in Deutschland gesehen, deren Wurzeln in der früheren Sowjetunion liegen. Einige Beiträge wirken, als sollten sie eine Pogromstimmung unter den Russlanddeutschen schüren.

Da ist zum Beispiel der Fall eines 13-jährigen Mädchens aus Berlin, das kurz als vermisst gemeldet war. Es sei von Flüchtlingen entführt und vergewaltigt worden, behauptete die wichtige Nachrichtensendung „Westi“. Im russischsprachigen Internet schlug die Sache hohe Wellen. Und es nützte nichts, dass die Berliner Polizei über Tage geduldig klarstellte: „Fakt ist - nach den Ermittlungen unseres LKA gab es weder eine Entführung noch eine Vergewaltigung.“

Die Polizei sei angehalten, Straftaten von Ausländern zu verschweigen - davon gehen russische Medien genauso aus wie Anhänger der rechtsgerichteten Pegida in Deutschland. Auf der Webseite des Moskauer Privatsenders REN TV sind Artikel zu Köln unter süffisanten Schlagworten wie „Sex-Migranten“ oder „Gast-Sexuelle“ zu finden. In einen Beitrag über die Silvesternacht wurden vermutlich Bilder geschnitten, die Übergriffe bei Demonstrationen in Kairo 2011 zeigen.

Wer in Russland jemanden belügt oder hinters Licht führt, der hängt ihm - so die Redewendung - „Nudeln über die Ohren“. Als „Nudelentferner“ bemühen sich der Ex-Nachrichtenredakteur Alexej Kowaljow und seine Mitstreiter in Moskau, Fälschungen und Unwahrheiten der russischen Medien aufzudecken. Auch in Sachen Bruchsal und Berlin haben sie recherchiert. „Offenbar braucht die russische Propagandamaschine dringend Geschichten zur Ablenkung“, heißt es auf ihrem Blog.

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