Umstrittene Wahlkampfauftritte EU stellt Unterstützungsprogramme für Türkei ein

Weil die Türkei EU-Beitrittskandidat ist, hat sie das Recht auf finanzielle Unterstützung. Nun werden erste Hilfsprogramme gestoppt. Die Niederlande weisen indessen die Abgesandten Erdogans in die Schranken.

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Recep Tayyip Erdogan Quelle: AP

Die EU hat damit begonnen, die im Rahmen der Beitrittsverhandlungen vorgesehene Unterstützung für die Türkei zurückzufahren. Nach Angaben des zuständigen EU-Kommissars Johannes Hahn wurden Programme eingestellt, die zuletzt nicht die erwünschten Fortschritte brachten. Von den 4,45 Milliarden Euro, die für den Zeitraum 2014 bis 2020 für die Türkei zur Verfügung stunden, seien zuletzt gerade einmal 167,3 Millionen Euro ausbezahlt gewesen, sagte Hahn in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur.

Der Österreicher machte gleichzeitig deutlich, dass es rechtlich derzeit nicht möglich wäre, die sogenannten Vortrittshilfen einfach ganz einzufrieren. Dazu müssten die 2005 gestarteten EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei offiziell gestoppt werden.

„Die überwiegende Mehrheit der EU-Außenminister hat sich im Dezember dafür ausgesprochen, den Dialog mit der Türkei weiter zu führen und gemeinsam an der Behebung der rechtsstaatlichen Defizite zu arbeiten“, sagte Hahn. Wie er selbst seien auch die meisten EU-Staaten der Meinung, dass es falsch wäre, alle Kommunikationskanäle zu schließen.

„Dann hätten wir überhaupt keinen Reformhebel mehr“, sagte Hahn. Weil derzeit niemand neue Verhandlungsbereiche eröffnen werde, seien die Gespräche ohnehin „de facto zum Stillstand gekommen“.

In Reaktion auf die jüngsten Ereignisse in der Türkei hat Hahn nach eigenen Angaben angeordnet, die EU-Hilfen verstärkt für Programme zur Verfügung zu stellen, die zum Beispiel die Zivilgesellschaft, die Demokratie-Entwicklung und Bildung und Wissenschaft stärken. „Immerhin ein Drittel der Mittel wird bereits auf meine Anweisung hin in diese Bereiche investiert - und diese Umorientierung läuft weiter“, sagte er. Zudem seien alle Zahlungen „selbstverständlich an strikte Bedingungen gebunden, deren Einhaltung wir strengstens kontrollieren.“

Die Europäische Union ist seit Monaten äußert besorgt über den politischen Kurs der Türkei. Vor allem das Vorgehen der Behörden gegen Oppositionspolitiker und Journalisten wird als inakzeptabel erachtet. „Die Türkei bewegt sich im Moment leider nicht auf Europa zu, sondern von Europa weg“, kommentierte Hahn.

Indessen geht der Ärger um Wahlkampfauftritte türkischer Politiker im Ausland weiter. Im Streit um einen geplanten Werbeauftritt für die Verfassungsreform in der Türkei haben die Niederlande dem türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu die Einreise verweigert. Dem Flugzeug des Ministers sei die Landerlaubnis entzogen worden, teilte die Regierung in Den Haag mit. Vor dem Schritt hatte Cavusoglu den Niederlanden mit wirtschaftlichen und politischen Sanktionen gedroht, sollte sein Auftritt behindert werden. „Ich werde heute nach Rotterdam gehen“, erklärte er dem Sender CNN Türk.

"Annäherung an die EU immer schwieriger"
Bundeskanzlerin Angela Merkel Quelle: dpa
Außenminister Sigmar Gabriel Quelle: dpa
Bundesjustizminister Heiko Maas Quelle: AP
FDP-Bundesvorsitzener Christian Lindner Quelle: dpa
Grünen-Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu Quelle: dpa
Axel-Springer- Vorstandschef Mathias Döpfner Quelle: dpa
Menschenrechtsorganisation Amnesty International Quelle: REUTERS

Die Niederlande verwiesen zur Begründung für die Verweigerung des Landesrechts unter anderem darauf, dass ein Aufruf an Türken in den Niederlanden zur massenhaften Teilnahme an dem Auftritt des Ministers in Rotterdam die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet habe. Cavusoglu wollte am Samstagabend auf dem Gelände des türkischen Konsulats in Rotterdam vor geladenen Gästen für die umstrittene Verfassungsreform für ein Präsidialsystem unter Präsident Recep Tayyip Erdogan werben.

Diese Veranstaltung hatte Den Haag ursprünglich zulassen wollen. Auftritte in diplomatischen Vertretungen könne man kaum verhindern, erklärte Ministerpräsident Mark Rutte Freitagabend im Programm „Nieuwsuur“ des Senders NOS. „Das ist türkischer Boden, also das Territorium der türkischen Regierung“, sagte er. Zugleich kündigte er aber eine Verschärfung von Sicherheitsvorkehrungen an.

Noch während man darüber mit der Türkei im Gespräch gewesen sei, habe Ankara den Niederlanden öffentlich mit Sanktionen gedroht, falls Cavusoglu dort nicht auftreten könne. „Das hat die Suche nach einer vernünftigen Lösung unmöglich gemacht“, heißt es in der Regierungsmitteilung. Der Rechtspopulist Geert Wilders, der im derzeitigen Wahlkampf in den Niederlanden laut Umfragen gute Chancen hat, begrüßte die Entscheidung der Regierung.

Türkische Minister hatten zuletzt in Deutschland mehrfach für Erdogans Verfassungsreform werben wollen, die ihm mehr Macht verleihen würde und über die im April auch in Deutschland sowie in anderen Ländern lebende Türken abstimmen können. Deutsche Kommunen hatten den Ministern aber Auftrittsorte verweigert. Ankara sprach daraufhin von Nazi-Methodik. Die Beziehungen beider Länder sind dadurch erheblich belastet.

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