Wahlkampf in Russland „Wir sind zurzeit alle ein bisschen auf der Suche nach der russischen Identität“

2018 wählt Russland einen neuen Präsidenten. Vitali Skhliarov, persönlicher Berater der russischen Oppositionsführerin und Präsidentschaftskandidatin Xenia Sobtchak, erklärt wie er die Wahl mit Big Data gewinnen will.

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Mit Hilfe ihres deutsch-russischen Wahlkampfmanagers Vitali Skhliarov will die 35-Jährige Russlands neue Präsidentin werden. Quelle: dpa

Vitali Shkliarov wurde 1976 in der Sowjetunion geboren und wuchs in Deutschland und den Vereinigten Staaten auf. Als Politikberater und Wahlkampfmanager arbeitete er für die demokratischen US-Kandidaten Barack Obama und Bernie Sanders. Jetzt will er für Xenia Sobtchak bei den russischen Präsidentschaftswahlen 2018 eine neue digitale Wahlkampagne ausprobieren, die selbst den Kampagnen in den USA überlegen sein soll. 

Xenia Sobtchak gilt als It-Girl und Medienstar, nicht als „ehrliche Politikerin“ wie ihr ehemaliger Arbeitgeber Bernie Sanders. Warum machen Sie trotzdem Wahlkampf für sie?
In einer gesunden, entwickelten Demokratie hat man ganz viele Möglichkeiten, seine Stimme und seine Kritik an der Politik auszudrücken. Aber in einem Land wie Russland, in dem es keine freien Medien gibt und nach wie vor Politiker verfolgt werden, ist jemand wie Xenia Sobtchak die einzige Möglichkeit, den „großen Bären“ da oben zu ärgern. Sie wird die Hauptherausforderin von Putin und hat im Land einen Bekanntheitsgrad von 95 Prozent. Damit ist sie für mich und die progressive Opposition in Russland ein geniales Sprachrohr.

Inwiefern?
Durch die Kampagne können wir den liberaldenkenden Menschen in Russland zeigen: Ihr seid nicht allein, Wahlen können mehr sein als nur die Wiederwahl eines autoritären Staates. Für mich ist es auch wichtig, dass hier in dieser unheimlich patriarchischen Gesellschaft eine Frau für das höchste Amt des Landes kandidiert – die dazu gerade einmal 35 Jahre ist. Das sendet auch ein Signal an die kommenden Generationen.

Frau Sobtchak ist aber nicht unumstritten, liberale russische Medien und internationale Beobachter halten sie für ein glamouröses Kreml-Produkt, um freie Wahlen vorzutäuschen. Was halten Sie von diesen Vorwürfen?

Dieses Freund-oder-Feind-Denken, das solchen Unterstellungen oft zugrunde liegt, ist für die Demokratisierung in Russland kontraproduktiv. Alexei Navalny hat man 2013 genau das gleiche vorgeworfen, heute sitzt er als Oppositionsführer im Gefängnis. Um überhaupt bei den Moskauer Bürgermeisterwahlen zugelassen zu werden, brauchte er Unterschriften aus dem Kreml. Demokratisierung ist ein Prozess, der in Russland noch eine lange Zeit brauchen wird. Deshalb will ich an diesen Spekulationen gar nicht teilnehmen.

Sie leiten ebenfalls den digitalen Wahlkampf der Kampagne. Inwiefern spielt Big Data in Russland eine Rolle?
Das ist genau mein Plan: das erste Big-Data-Projekt Russlands zu starten. Wir entwickeln gerade eine Software, die uns den datengetriebenen Wahlkampf immens erleichtern würde. Auf vielen Daten, die wir bräuchten, sitzen der Kreml oder kremlnahe Unternehmen – da kommen wir als Opposition nicht dran. Deshalb haben wir notgedrungen eigene Instrumente entwickelt, die meiner Erfahrung nach den amerikanischen Mitteln durchaus voraus sind.

Überlässt Ihnen hier der Kreml das Feld?
Nicht weit von unserem Büro entfernt hat der Kreml zwei Gebäude, in denen Agenten sitzen, die für Instagram, Twitter und Facebook zuständig sind und dort die Interessen des Kremls vertreten. Und mit den finanziellen Mitteln können sie auch immer wieder hervorragende Köpfe für sich gewinnen.  Wir müssen also eigene, kosteneffiziente Wege finden, um unabhängige Kandidaten aufzustellen. 

Und wie soll das funktionieren?
Wir haben bei den letzten Kreiswahlen in Moskau bereits unser „Political Uber“ ausprobiert: Vollkommen unerfahrene Menschen, die aber für bestimmte Dinge brannten, konnten sich bei uns melden und bekamen von uns einen Wahlkampf auf sie zugeschneidert. Weil wir über 1000 Kampagnen nicht per Hand organisieren können, haben wir dazu eine Software geschrieben.

Das kostet doch aber sicher auch eine Menge Geld. Sind Sie da nicht wieder auf das Geld von Oligarchen oder ausländischen Investoren angewiesen?
So teuer war das gar nicht. Dank der Software kostet uns jeder Kandidat etwa zwei US-Dollar am Tag, das ist gar nichts verglichen mit den Millionenbudgets in den USA und anderswo. Die entsprechenden Beträge konnten wir durch Onlinespenden finanzieren, ein wenig wie bei der Sanders-Kampagne in den USA.  


„Nicht Putin hat die Menschen reich gemacht, sondern das Öl“

Wie erfolgreich waren Sie damit?
Mit 267 Plätzen sind unsere unabhängigen Kandidaten die zweitgrößte Fraktion im Moskauer Abgeordnetenhaus geworden. Das ist eine Sensation und ein ziemliches Zeichen für den Kreml. Ich bin fest überzeugt, dass Politik in der Zukunft so aussehen wird: Kandidaten werden aus persönlichen Überzeugungen antreten und für ihre Kampagne nicht Parteien, sondern Dienstleister benutzen. Und gleichzeitig werden sie selbst immer mehr zu Dienstleistern und nach ihrer Effektivität bewertet. Das schreit geradezu nach einer digitalen Plattform, auf der diese Dienstleistungen angeboten und bewertet werden können. Die schaffen wir jetzt.

Aber neben technologischem Fortschritt wird vielleicht auch in der Zukunft eine steigende Sehnsucht nach der Sowjetunion eine Rolle in Russlands Politik spielen, oder? Sie selbst sind noch ein Kind der Sowjetunion.
Wie viele meiner Generation kenne ich die Sowjetunion, das chaotische aber liberalere Jelzin-Russland und das autoritäre Putin-Russland. Sicher sehnt man sich immer ein Stückchen nach dem, was mal war und verloren gegangen ist. Wir sind zurzeit alle ein bisschen auf der Suche nach der russischen Identität. Krieg war in Russland immer identitätsstiftend, bei den Zaren, während der Sowjetunion, in den beiden Tschetschenien-Kriegen und auch jetzt in der Ostukraine.

Ist das denn ein Grund, warum Wahlkampf in Russland – egal ob Kreml oder Opposition – nur mit Nationalismus klappen kann?
Leider schon, ja. Während der Sowjetunion gab es eine klare russische Identität – also etwas worauf man stolz sein konnte – und einen funktionierenden Gesellschaftsvertrag. Diese Identität ist uns mit dem langsamen Zerfall der Sowjetunion verloren gegangen. Putin hat versucht das wieder zu schaffen: Ihr bekommt Stabilität, wir das Öl.

Und wieso funktioniert das nicht mehr?
Putins Budget um 2000 war mit einem Öl-Preis von unter 20 USD pro Barrel kalkuliert, tatsächlich konnte er dann aber für das zehnfache verkaufen. Das brachte erstmal Wohlstand, aber Putin hat es nicht geschafft, diesen Wohlstand in die Entwicklung des Landes, also der Bildung und Infrastruktur zu investieren. Das merken die Leute jetzt, wo das Geld wieder weg ist: Nicht Putin hat die Menschen reich gemacht, sondern das Öl.

Sie haben in Ihrer Masterarbeit unter anderem über die mögliche EU-Integration Russlands geschrieben. Was muss passieren, damit wir da wieder hinkommen?
Das war damals ein großes akademisches und politisches Thema. Noch 2013 hat Putin von einem Bündnis mit der Nato gesprochen. Ich liebe Barack Obama, aber ich glaube, er hat danach im Umgang mit Russland einiges falsch gemacht. Wenn daraus wieder ein gutes Verhältnis werden soll, müssen wir uns auf die Gemeinsamkeiten konzentrieren.

Heißt das auch, dass Deutschland seine Sanktionen beenden sollte?
Im Gegensatz zu Amerika ist Deutschland sehr viel gezielter mit seinen Sanktionen und bereit, trotz der Sanktionen einen Dialog weiterzuführen. Diese Strategie sollte Deutschland beibehalten, aber sich auch bewusst sein, dass so eine Annäherung noch einige Zeit brauchen wird.

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