Was kommt nach Hollande? Chaos und Machtkämpfe bei Frankreichs Sozialisten

François Hollande tritt nicht für eine zweite Amtszeit an. Frankreichs Sozialisten sind nun politische Waisenkinder, die sich neue Eltern suchen müssen. Der Kampf der Flügel und Strömungen nimmt Fahrt auf.

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François Hollande (links) hinterlässt seiner Partei einen Scherbenhaufen. Nun strebt Premier Manuel Valls nach der Spitzenkandidatur. Quelle: AFP

Paris Mit dem Verzicht von Präsident François Hollande auf eine neue Kandidatur verliert die Sozialistische Partei (PS) die letzte Klammer, die sie noch zusammenhalten konnte. Auch wenn das zuletzt mehr Anschein als politische Wirklichkeit war: Seit Hollandes Erklärung gibt es keinen sozialistischen Politiker mehr, der die Legitimität hat, für die Partei insgesamt zu sprechen.

Die Sozialisten sind nun politische Waisenkinder, die, um im Bild zu bleiben, sich neue Eltern suchen müssen. Wie die politisch ausgerichtet sein sollen, darüber gibt es keinerlei Übereinstimmung. Der Kampf der Flügel und Strömungen ist eröffnet, und er wird nun in der Kampagne zur Wahl des sozialistischen Präsidentschaftskandidaten ausgetragen.

Derzeit gibt es bereits sechs Kandidaten für die Vorwahl. Am Samstag wird Premier Manuel Valls, der Hollande zum Verzicht gedrängt hat, dazu kommen. Er wird sich auf einer großen Konferenz der Sozialisten und ihrer Bündnispartner erklären und ist der prominenteste Vertreter der Sozialdemokraten innerhalb der PS. Der 54-Jährige steht für die in der Partei scharf umstrittenen Reformen der vergangenen Jahre. Im Ausland als Reförmchen belächelt, gelten sie dem linken Flügel der PS als Bankrotterklärung gegenüber den Unternehmern, als Kniefall vor dem Kapitalismus.

Den besonderen Zorn haben die Senkung der Sozialabgaben für die Unternehmen und die Arbeitsmarktreform auf sich gezogen. Für Empörung hat aber auch ein anderer Vorstoß gesorgt, nämlich der Versuch, die Verfassung zu ändern, um Franzosen mit doppelter Staatsbürgerschaft die Staatsangehörigkeit entziehen zu können, wenn sie an schweren Straftaten wie Terrorismus beteiligt sind. Das Ansinnen scheiterte zwar und Hollande selber hat es in seiner Verzichtserklärung als Fehler bezeichnet, doch Valls steht mit seinem Namen auch für diesen Fehlschlag.

Die Grundlinie des kommenden Vor-Wahlkampfes ist relativ klar: Der Reformer Valls wird sich mit einer Mehrheit von Kandidaten auseinandersetzen müssen, die zurück zu einer lupenreinen sozialistischen Politik wollen wie Ex-Bildungsminister Benoit Hamon, oder die eine Mischung aus Vulgärkeynesianismus, Globalisierungskritik und Protektionismus vertreten wie der frühere Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg, die aber in jedem Fall scharfe Kritiker der Noch-Regierung sind.

Hinter den Kulissen arbeitet auch die frühere Parteivorsitzende Martine Aubry gegen Valls. Sie ist in der Partei immer noch sehr beliebt, viel gemäßigter als Montebourg und Hamon, hat Hollande weitgehend unterstützt, kann Valls aber aus persönlichen Gründen nicht ausstehen und wird versuchen, ihm zu schaden.


Nach der Vorwahl folgt die nächste Hürde

Die Mehrheit der Partei hinter sich zu bringen wird für Valls aus all diesen Gründen nicht einfach sein. Er hat von allen Kandidaten das meiste politische Talent, eine unbändige Energie, Erfahrung und einen fast maßlosen Ehrgeiz. Doch er steht eben auch für die sehr durchwachsene Bilanz Hollandes. Und er ist ein eher kalter, autoritärer Politikertyp, der wenig spontane Sympathien auf sich zieht. Anders als Hollande wirkt er aus der Entfernung einnehmender als aus der Nähe.

Valls kann kaum erwarten, dass er für sein Verständnis eines reformerischen Sozialdemokratismus große Zustimmung erhält. Er wird sich deshalb wohl auf zwei Themen konzentrieren: den Kampf gegen die rechtspopulistische Marine Le Pen, die gute Aussichten hat, im Mai 2017 in die Stichwahl zu kommen. Und er wird argumentieren: Der Konservative Kandidat Francois Fillon gefährdet den Sozialstaat, gegen ihn müssen alle Linken zusammenhalten und ihre Gegensätze zurückstellen.

Das Angebot, sich zu vereinen, um gemeinsam die Rechte zu schlagen, dürfte die Leitmelodie des in Barcelona geborenen Politikers werden. Seine These hat er seit zwei Jahren wiederholt: Wenn die Linke sich nicht den Problemen der Gegenwart stellt, kann sie untergehen.

Sollte Valls die Vorwahl gewinnen, steht er vor einer neuen Hürde: Das Feld des progressiven Reformers ist schon von seinem Intimfeind Emmanuel Macron besetzt. Der Ex-Wirtschaftsminister ist schon Kandidat und tourt mit seinem wirtschaftlich liberalen, gesellschaftspolitisch eher linkem Programm durch Frankreich. Er ist 16 Jahre jünger als Valls und ist gerade noch rechtzeitig auf Distanz zu Hollande gegangen, um nicht das Kreuz seiner ganzen Misserfolge tragen zu müssen.

Wirkliche Chancen, in die Endrunde der Präsidentschaftswahl zu kommen, hat Valls nicht. Doch das ist nicht sein wichtigstes Ziel: Es geht ihm vor allem darum, durch den Wahlkampf in die Rolle des natürlichen Führers der Sozialisten hineinzuwachsen.

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