Angela Merkel "Wir befinden uns in keinem Krieg gegen den Islam"

Der „islamistische Terror“ entsetzt die Kanzlerin, bringt aber ihre umstrittene Politik nicht grundsätzlich ins Wanken. Merkel kündigt Maßnahmen für mehr Sicherheit an.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel. Quelle: AP

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht Deutschland nach zwei blutigen Anschlägen im Krieg mit der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) und setzt auf ein neues Sicherheitspaket. „Ich glaube, dass wir in einem Kampf oder meinetwegen auch in einem Krieg gegen den IS sind“, sagte sie in Berlin. Merkel betonte zugleich: „Wir befinden uns in keinem Krieg oder Kampf gegen den Islam.“ Die wegen der Terroranschläge von zwei Flüchtlingen in Würzburg und Ansbach massiv unter Druck stehende Kanzlerin legte bei ihrer Sommer-Pressekonferenz einen Neun-Punkte-Plan als Reaktion vor.

Zugleich stellte Merkel sich vor „die vielen anderen Flüchtlinge, die wirklich Hilfe vor Gewalt und Krieg bei uns suchen“. Sie griff ihre Formel „Wir schaffen das“ aus dem Vorjahr wieder auf: „Ich bin heute wie damals davon überzeugt, dass wir es schaffen, unserer historischen Aufgabe – und dies ist eine historische Bewährungsaufgabe in Zeiten der Globalisierung – gerecht zu werden. Wir schaffen das.“

Merkel will den Militäreinsatz gegen den IS trotz der islamistisch motivierten Anschläge nicht ausweiten. Sie verwies darauf, dass sich die Bundeswehr schon jetzt mit Aufklärungs- und Tankflugzeugen an den Bombardements gegen die Terrormiliz in Syrien und im Irak beteiligt. „Neue Verpflichtungen sehe ich im Augenblick nicht.“

Definitionen und Zusammenhänge

Als Reaktion auf die Anschläge kündigte die Kanzlerin unter anderem ein besseres Frühwarnsystem für Bedrohungen neben dem organisierten Terrorismus an. Zu ihrem Neun-Punkte-Plan zählten auch eine Senkung der Hürden für die Abschiebung von Asylbewerbern und Vorbereitungen für Bundeswehreinsätze im Inneren bei großen Terroranschlägen.

Die mit Merkels Flüchtlingspolitik seit langem hadernde bayerische CSU-Landesregierung ging bei einer Klausur am Tegernsee mit einem Konzept „Sicherheit durch Stärke“ in die Offensive. Ministerpräsident Horst Seehofer und sein Kabinett forderten vom Bund unter anderem eine Ausweitung der umstrittenen Vorratsdatenspeicherung. Zudem strebt die CSU eine Grundgesetzänderung an, um den Einsatz der Bundeswehr im Innern zur Abwehr von Terrorgefahren und zur Grenzsicherung zu ermöglichen oder zu erleichtern.

Deutschland trauert "mit schwerem Herzen"
Kanzlerin Merkel Bundeskanzlerin Angela Merkel lobt die Hilfsbereitschaft der Münchner in der Tatnacht, in der viele ihre Wohnungen Fremden zur Verfügung stellten. "In dieser Freiheit und Mitmenschlichkeit liegt unsere größte Stärke", sagt Merkel am Samstag. Deutschland trauere "mit schwerem Herzen um die, die nie mehr zu ihren Familien zurückkehren werden." Sie fügte an die Adresse der Angehörigen hinzu: "Wir denken an Sie, wir teilen Ihren Schmerz, wir leiden mit Ihnen." Quelle: dpa
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) forderte in der „Welt am Sonntag“, dass „wir in extremen Situationen“ wie Terroranschlägen „auch in Deutschland auf die Bundeswehr zugreifen können“. Quelle: AP
De Maizière: "Explosionen von Gewalt"Für Innenminister Thomas de Maizière waren es „Explosionen von Gewalt“, die in München zum Tod von neun unschuldigen Menschen führten. Der Amokläufer war nach den Worten de Maizières für die Sicherheitsbehörden zuvor ein unbeschriebenes Blatt. „Gegen ihn waren bisher keine polizeilichen Ermittlungen bekannt.“ Deswegen habe es auch keine staatsschutzrelevanten Informationen gegeben. „Und es gibt auch keine Erkenntnisse der Nachrichtendienste über diese Person.“ Möglicherweise sei der junge Deutsch-Iraner gemobbt worden. Dennoch sprach sich de Maizière dafür aus, die Einsatzkonzepte der Polizei noch einmal unter die Lupe zu nehmen. „Das wird sicher jetzt noch einmal überprüft werden müssen“, sagte der CDU-Politiker am Samstagabend in der ARD. Und gegenüber der „Bild am Sonntag“ sagte er, dass zunächst ermittelt werden müsse, wie der Amokläufer an die Tatwaffe gelangt sei. „Dann müssen wir sehr sorgfältig prüfen, ob und gegebenenfalls wo es noch gesetzlichen Handlungsbedarf gibt.“ Quelle: dpa
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel Quelle: dpa
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) Quelle: dpa
Münchner OB - "Unsere Stadt steht zusammen" Der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter äußert sich über die Tat entsetzt. Alle städtischen Feste und Feiern seien für dieses Wochenende abgesagt. "Es sind schwere Stunden für München." Er sei von der großen Hilfsbereitschaft und Solidarität beeindruckt. "Unsere Stadt steht zusammen." Quelle: dpa
Unionsfraktionschef Volker Kauder warnt vor einer Ausbreitung von Hass und Gewalt. Noch sei nicht bekannt, was den Attentäter zu den Morden getrieben habe. "Unabhängig davon, was seine Motive waren und wie sich seine persönliche Disposition darstellt, müssen wir aber noch mehr darauf achten, dass sich Hass und Gewalt in unserer Gesellschaft generell nicht weiter ausbreiten." Quelle: dpa

Die CSU-Regierung erneuert ihre Forderung nach einer Obergrenze für neue Flüchtlinge von 200.000 pro Jahr. Eine weiterer zentraler Punkt der Klausur: Wer ohne Papiere einreist oder seine Identität nicht belegen kann, soll an den Grenzen „zunächst festgehalten werden und gegebenenfalls zurückgewiesen werden“. Ausländische Straftäter sollen nach dem Willen Bayerns schneller abgeschoben werden - auch in Krisengebiete. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) rechtfertigte die Maßnahmen: „Der islamistische Terrorismus ist bei uns in Bayern leider angekommen.“

Merkel verurteilte in Berlin die Gewalttaten der vergangenen Tage. „Diese Anschläge sind erschütternd, bedrückend und auch deprimierend. Es werden zivilisatorische Tabus gebrochen. Die Taten geschehen an Orten, wo jeder von uns sein könnte.“

Dass die Anschläge in Würzburg und Ansbach von zwei Flüchtlingen begangen wurden, „verhöhnt das Land, das sie aufgenommen hat“, sagte Merkel. Es verhöhne die Helfer und Ehrenamtlichen und auch „die vielen anderen Flüchtlinge, die wirklich Hilfe vor Gewalt und Krieg bei uns suchen“. Am Sonntagabend hatte ein syrischer Flüchtling im bayerischen Ansbach vor einem Konzertgelände eine Bombe gezündet. In Würzburg hatte am 18. Juli ein 17-jähriger Flüchtling, vermutlich aus Afghanistan, Menschen mit Axt und Messer angegriffen.

Islamistischer Terror gegen Europäer seit "Charlie Hebdo"

Weil vielen nicht klar war, wie Merkels Flüchtlingspolitik gelingen soll, geriet die Kanzlerin in den vergangenen Monaten zunehmend unter Druck – und die Union in einen Abwärtstrend bei den Wählern. Merkel räumte ein: „Es ist eine schwierige (Zeit), aber wir hatten auch andere schwierige. (...) Jetzt haben wir etwas, was sehr an den Kern der Gesellschaft geht.“ Schlimm sei „die allgemeine Verunsicherung“. Deshalb müsse „der Staat seiner Aufgabe gerecht werden, das weitestgehende Vertrauen wieder herzustellen“.

Merkel lässt Kandidatur offen

Merkel ließ eine erneute Kandidatur bei der Bundestagswahl 2017 weiter offen. Die CDU-Chefin bekräftigte, sie werde sich dazu „zum geeigneten Zeitpunkt“ äußern. „Heute ist dieser Zeitpunkt nicht.“ Merkel ist seit 2005 im Amt. Die 62-Jährige regiert derzeit zum zweiten Mal in einer schwarz-roten Koalition mit der SPD.

Sie will nun Bürger zurückgewinnen, die wegen der vielen ins Land gekommenen Flüchtlinge mit der AfD sympathisieren. „Natürlich haben die Entscheidungen, die wir getroffen haben, auch im Blick auf die Frage unser humanitären Verantwortung, Gegenreaktionen hervorgerufen, und Menschen, die das nicht mittragen“, sagte Merkel zum Aufstieg der Rechtspopulisten. „Deshalb werden wir durch Taten alles daran setzen, Menschen, die heute sich vielleicht nicht ausreichend verstanden fühlen, wieder zurückzugewinnen (...).“

Ursprünglich hätte Merkels traditionelle Sommer-Pressekonferenz erst nach den Ferien stattfinden sollen. Nach den jüngsten Gewalttaten entschloss sie sich jedoch, dafür ihren Urlaub zu unterbrechen.

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