Bildungspolitik Das bundesweite Zentralabitur ist eine Lachnummer

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Abiturienten können sich vor Mathematik drücken

Warum also so viel Aufwand um so wenig Gemeinsames, dass sich bei genauerem Hinsehen weiter minimiert? Da die Schüler in der Abiturprüfung verschiedene Aufgabenfelder abdecken müssen, werden sie selbst bei Entnahme von Aufgabenteilen aus allen vier Fächern maximal auf zwei Teilaufgaben aus dem Pool stoßen. Schließlich gibt es für die meisten im schriftlichen Zentralabitur einzubringenden Fächer in dem bisherigen Kanon des IQB noch gar keine Aufgaben.

Bezogen auf das Fach Mathematik, für das ja eigentlich verbindlich Bildungsstandards entwickelt wurden, gibt es zudem immer mehr Länder, die selbst den Minimalkonsens geschickt unterlaufen: Mathematik gehört da nicht mehr zum verpflichtenden Abiturkanon. Nicht nur in NRW können Schüler der Mathematik im gesamten Abitur komplett ausweichen. Indem sie beispielsweise im bilingualen Zweig die Leistungskurse Deutsch und Englisch wählen, dazu Erdkunde bilingual als drittes und Biologie als mündliches vierten Abiturfach. Sachsen-Anhalt hat gerade beschlossen, Mathematik aus dem verpflichtenden Kanon der Abiturprüfung ganz zu entfernen.

Rechtschreibschwächen, Noteninflation und Niveauverlust. Bildungsforscher Hans Peter Klein beklagt die politisch gewollte Nivellierung der Ansprüche in deutschen Bildungseinrichtungen.

Erschwerend kommt hinzu, dass es im IQB mehrere Aufgabenpools gibt. Grund: Aufgrund der unterschiedlichen Ferienzeiten der Bundesländer ist eine zeitgleiche Bearbeitung nicht möglich. Für die Sprachen gibt es wohl zwei verschiedene Pools zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten, in Mathematik nur einen. Es wird also keinesfalls dazu kommen, dass die Schüler aller Bundesländer auch nur eine komplette Abituraufgabe, ja nicht einmal eine Teilaufgabe gemeinsam bearbeiten werden. Ob sich überhaupt alle Bundesländer und in welchem Umfang aus dem Aufgabenpool bedienen werden, ist derzeit wohl noch völlig offen. Man darf gespannt sein.

Auf die Frage nach dem Sinn dieser seltsamen Vorgehensweise antwortete ein Ministerium wie folgt: „Bei dem Einsatz von Prüfungsaufgaben aus dem zentralen Abituraufgabenpool geht es nicht in erster Linie um den prozentualen Anteil, den eine einzelne Aufgabe an dem Gesamtergebnis ausmacht, sondern um die normierende Wirkung der Poolaufgaben auf alle im Abitur der Länder eingesetzten Aufgaben“. Die Folgen dieser Normierung konnte man gerade in Hamburg eindrucksvoll nachvollziehen. Eine geschriebene Probeklausur im Fach Mathematik hat dort zu einem Erdbeben geführt: Da der Notendurchschnitt auf 3,9 drastisch gesunken war, entschied der Bildungssenator, alle erzielten Noten um eine ganze Note nach oben zu setzen. Er verordnete außerdem zusätzliche Stundenkontingente im Fach Mathematik zur Vorbereitung auf die kommenden Abiturprüfungen. Ein derartiger Frevel soll sich nicht wiederholen.

Schaut man sich nun die Probeklausur aus Hamburg an, ist man überrascht über die geringen Anforderungen: Sie besteht beim "grundlegenden Niveau" zunächst aus der Überprüfung einiger Definitionen der Oberstufe und der rechnerischen Verwendung elementarer Unter- und Mittelstufenkenntnisse. Für die erste „hilfsmittelfreie“ Aufgabe sollen Schüler Ableitungen skizzieren statt ausrechnen. Statt Integrieren sollen sie Kästchen zählen. Höhepunkt ist dann die Erkenntnis, dass der Graph einer Funktion um zwei Einheiten nach unten sackt, wenn beim zugehörigen Funktionsterm "2" subtrahiert wird.

Die Aufgabe zur Stochastik ist – wenn man von der einfachen Definition des Erwartungswertes als Summe von Produkten der beteiligten Zahlen absieht – eine Aufgabe für Neuntklässler, bei der ein paar fehlende Zahlen in einem Baumdiagramm mit zweimal zwei Verzweigungen unter Verwendung der Grundrechenarten ergänzt werden sollen. Auf erhöhtem Anforderungsniveau sind die Aufgaben ähnlich – mitunter kommt eine offensichtliche Umformung hinzu, über die frühere Leistungskursschüler nur geschmunzelt hätten.

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