Britischer Autor Stephen Green Eine Liebeserklärung an Deutschland

Brexit, Trump, Erdogan: Wie geht es weiter mit der EU? Der britische Buchautor Stephen Green stellt seine Idee vor, wie sich die Staatengemeinschaft wieder einen kann. Deutschland spielt dabei die wichtigste Rolle.

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Der Autor und ehemalige britische Handelsminister Lord Stephen Green hat eine Liebeserklärung geschrieben – an Deutschland. Quelle: dpa

Berlin Zweihundertvierundneunzig Seiten. So lang kann eine Liebeserklärung sein. Dafür muss die Liebe aber tief und innig sein und eine lange Geschichte haben. Der britische Politikberater, Banker und Buchautor Stephen Green hat so eine Liebeserklärung verfasst. Darin erzählt er von dem ersten Kennenlernen, das war noch zu Schulzeiten: Er war total fasziniert von allen Facetten, die seine große Liebe ihm zu bieten hatte. Vor allem die Sprache ließ ihn nicht mehr los.

Gemeint ist kein Mädchen aus seiner Schulklasse oder eine junge Frau, die das Mitglied des House of Lords so bewundert – gemeint ist Deutschland. In seinem Buch „Dear Germany. Liebeserklärung an ein Land mit Vergangenheit“, das in seiner deutschen Fassung 2017 erschienen ist, geht es aber nicht nur um die Gefühle des Autors, sondern um sehr viel mehr: um die Zukunft Europas.

Das ist ein Wahlkampfthema, wie es aktueller nicht sein könnte. Wie geht es weiter mit der Beziehung zu Großbritannien nach dem Brexit? Wie viel Einfluss kann US-Präsident Donald Trump nehmen und wie abhängig ist die Europäische Union (EU) von ihm? Wird man die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU abbrechen oder nicht? Fragen, die die Deutschen bewegen. Fragen, die auch Green in seinem Buch behandelt. Dabei preist er Deutschland. Er liebt Deutschland. Und er wird nicht müde, das zu betonen, auch nicht bei seiner Buchvorstellung am Dienstag in Berlin, bei der auch Julia Klöckner, stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU, ein paar Worte über die aktuelle politische Lage in Europa sagte.

Wie geht es weiter in Europa?

Klöckner ist der Meinung, im Buch ist es zu viel des Lobes und der Liebe zu Deutschland. „Wenn ein deutscher Autor das Buch verfasst hätte, wären alle in Aufruhr“, sagte sie bei der Buchvorstellung. Sie interessiere sich eher für eine andere Frage, die im Buch aufgeworfen werde: Was heißt das eigentlich für die Zukunft? „Das ist für mich die spannendste Frage“, sagte Klöckner. Greens Antwort darauf ist eindeutig: „Deutschland hat eine führende Rolle in der Weiterbildung des europäischen Projektes.“ Und noch mehr müsse Deutschland diese Rolle übernehmen seit der Entscheidung für den Brexit, den der ehemalige Handelsminister unter David Cameron zutiefst bedauert.

Ob Deutschland diese Rolle des Vermittlers gut erfüllt, das dürfte auch stark vom Ausgang der Bundestagswahl am 24. September abhängen. Denn bei der Frage, ob Europa zusammenhält, geht es nicht nur um die Menschen, sondern auch um die Regierungen und vor allem um Identität. Die beiden Kanzlerkandidaten von SPD und CDU haben allerdings eine unterschiedliche Vorstellung von europäischer Identität.

Martin Schulz, Kanzlerkandidat der SPD und Europa-Liebhaber, will die Staatengemeinschaft neugründen. Er will die Begeisterung für Europa neu wecken, schrieb er in einem Positionspapier zusammen mit Parteikollege Sigmar Gabriel. Er sagte einmal: „Europa ist eine fantastische Idee – die irgendwann in die Hände der Bürokraten gelangt ist.“

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf der anderen Seite will ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten. Sie will zwar, dass alle mitmachen, aber sie weiß auch Eines. „Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen“, sagte sie kürzlich nach dem G7-Gipfel, bei dem sie sich enttäuscht von US-Präsident Donald Trump und seinen Positionen in der Klima- und Flüchtlingspolitik gezeigt hatte.

„Deutschland allein auf der Kommandobrücke“

Politiker reden immer wieder davon, aber allein schaffen sie es aber nicht, die Staatengemeinschaft wieder zu einen. Sie müssen ihre Bürger überzeugen, mitzumachen. Doch dabei gibt es ein Problem: den Mangel an Zuversicht. Diesen Mangel sprach auch Stephen Green bei seiner Buchvorstellung an. Der leidenschaftliche Europäer, wie er sich selbst nennt, appellierte an die Deutschen, ihre Position „auf der Kommandobrücke des europäischen Projektes“ verantwortungsvoll zu übernehmen. Er wisse: „Die Rolle auf der Kommandobrücke macht nervös und Deutschland wird sich allein fühlen.“ Aber das europäische Projekt könne nur erfolgreich sein, wenn seine Bürger Zuversicht hätten.

Julia Klöckner stimmte Green bei seinem Appell zu: „Auch bei allen Unterschieden in den Ländern – Europa hat dann einen starken Zusammenhalt, wenn die Kleinen nicht merken, dass sie die Kleinen sind.“

Ob es dann sinnvoll ist, dass nur ein Land das Amt des Kapitäns übernimmt, ist fraglich. Green räumte ein, dass alle Länder zusammenarbeiten müssen. Die anderen 26 Länder neben Deutschland müssten die Staatengemeinschaft auch wieder aufbauen. Konkrete Vorschläge lieferte er jedoch nicht. Er betonte lediglich, welch wichtiger Partner Frankreich sei. Polen, die sechstgrößte Nation in Europa, und Italien, das viel zu oft vergessen werde, erwähnte er am Rande.

Aber auch das – nämlich mit welchen Ländern Deutschland gut kann – liegt im diplomatischen Geschick der jeweiligen Regierungen. Und die neue Regierung in Deutschland wird frühestens ab dem 24. September bekanntwerden. Vielleicht lieben die Deutschen nach der Bundestagswahl dann auch wieder ihr eigenes Land – genauso wie Stephen Green.

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