Bundesfinanzminister feiert 75. Geburtstag „Wolfgang Schäuble ist ein Herzens-Europäer“

Deutsche und europäische Politiker feiern den Bundesfinanzminister anlässlich seines 75. Geburtstags. Bundeskanzlerin Merkel würdigte Schäuble in ihrer Ansprache als großen Europäer – der Minister war sichtlich bewegt.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel gratuliert Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zum 75. Geburtstag beim Empfang der CDU Baden-Württemberg. Quelle: dpa

Wolfgang Schäuble muss zu Beginn seines Festakts das tun, was er eigentlich überhaupt nicht mag: warten. „Es dauert noch, die Schlange ist ein bisschen länger als gedacht“, sagt der Leiter der Historischen Bürgerwehren zum Bundesfinanzminister. Eine maßlose Untertreibung. Die Ehrenformation reicht inzwischen einmal um den gesamten Platz vor der Offenburger Reithalle und nimmt kein Ende. Bis zu diesem Tag wusste wohl niemand, dass in Baden-Württemberg so viele Menschen einer historischen Bürgerwehr angehören.

Doch Schäuble stört das Warten heute ausnahmsweise nicht. Als alle Soldaten in Reih und Glied stehen, passiert Schäuble die Reihen in seinem Rollstuhl. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Baden-Württembergs CDU-Chef Thomas Strobl, der auch sein Schwiegersohn ist, folgen ihm andächtig. Nachdem der Finanzminister wieder am Ausgangspunkt angelangt ist, schießen die Soldaten drei Ehrensalven für den Jubilar in die Luft. Der Krach ist so laut, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel neben Schäuble kurz zusammenzuckt. Schäuble lacht vergnügt.

Wolfgang Schäuble ist ein Politiker des Superlativs. Seit 45 Jahren im Bundestag, 19 davon auf der Regierungsbank, Architekt der Deutschen Einheit, Erfinder der schwarzen Null, Manager der Euro-Krise. Entsprechend muss natürlich auch der Festakt ein Superlativ sein, zu dem der CDU-Landesverband Baden-Württemberg anlässlich des „75. Geburtstages unseres Spitzenkandidaten“ eingeladen hat. Auch das eine Untertreibung.

Neben sämtlichen Bürgerwehren aus dem Ländle ist das Who is Who deutscher und europäischer Politik an diesem Montagmorgen nach Offenburg gekommen – trotz Wahlkampfstress: Kanzlerin Merkel, EU-Kommissionspräsident Juncker, die Fraktionschefs im Bundestag von CDU und CSU, Kirchenvertreter, Gewerkschaftler, Unternehmer wie Bosch-Chef Franz Fehrenbach, unzählige ehemalige Minister und Weggefährten Schäubles. „Würde ich alle so begrüßen wie es angemessen wäre, wäre das eher eine Veranstaltung für den frühen Abend“, sagt Strobl. Aber angesichts der Wahlen am Sonntag habe man den offiziellen Teil der Feier bewusst kurz gehalten, damit man ab Mittag wieder Wahlkampf machen könne.

Ebenfalls bis zum frühen Abend würde es fast dauern, alle wichtigen Ämter aufzuzählen, die Schäuble schon einmal innehatte. Ein Kurzvideo zählt deshalb im Stakkato Schäubles wichtigste Stationen auf und setzt sie versatzstückhaft mit den großen politischen Ereignissen der vergangenen 75 Jahre zusammen. Der Film zeigt deshalb nicht nur, dass Schäuble eine politische Laufbahn hingelegt hat, die normalerweise locker drei Politikerleben füllen würde. Er zeigt auch, welch lange Wegstrecke Deutschland in den vergangenen 75 Jahren zurückgelegt hat. Und das hinterlässt bei Schäuble Eindruck.

Schäuble ist Jahrgang 1942. Deutschland war damals im Begriff, sich durch den von Nazis entfachten Krieg in eine Trümmerlandschaft zu verwandeln. Schäuble ist einer der letzten aktiven Politiker, der die Nöte der Nachkriegszeit noch hautnah miterlebt hat. „Wenn man überlegt, wie elend Deutschland noch in den fünfziger Jahren ausgesehen hat“, sagt Schäuble. „Dass wir seit 70 Jahren in Frieden leben, konnten sich frühere Generationen gar nicht vorstellen.“

Doch man habe Deutschland wieder aufgebaut und später die atomare Bedrohung des Kalten Krieges hinter sich gelassen, und das ohne einen Schuss und Tropfen Blut. „Wenn uns das gelingen konnte, warum sollten wir jetzt an den Aufgaben und Schwierigkeiten verzagen, die wir noch vor uns haben“, ruft Schäuble in den Saal. Dies ist die eine Botschaft, die er an seinem Ehrentag vermitteln möchte. Die zweite ist die Mahnung, niemals mehr eine Spaltung Europas zuzulassen. „Wir werden eine gute Zukunft nur haben, das lehrt die Geschichte, wenn wir Europa zusammenhalten, und zwar das ganze Europa.“


Eine glückliche Fügung

Zuvor hatte Kanzlerin Angela Merkel in ihrer Rede Schäuble als großen Europäer gewürdigt. „Wolfgang Schäuble ist ein Herzens-Europäer“, sagte sie. Es sei eine glückliche Fügung gewesen, dass ausgerechnet er in der Euro-Krise Finanzminister gewesen sei. „Er war die Ruhe im Sturm des Orkans.“ Merkel würdigte Schäubles Verdienste um die Deutsche Einheit, dessen „Architekt“ er sei, seine bislang 45 Jahre andauernde Karriere als Parlamentarier und den Menschen, der immer offen für Neues sei und sich niemals selbstzufrieden zurücklehne. Als Geburtstagsgeschenk überreichte Merkel Schäuble die gesammelten Werke des von den Nazis ermordeten Theologen Dietrich Bonhoeffer. Eine „gute Lektüre“ und „neue Einsichten“ wünschte die Kanzlerin dem Jubilar im Namen der CDU.

Merkel machte auch aus ihrem diffusen Verhältnis zu Schäuble kein Geheimnis. Merkel hatte Schäuble im Jahr 2000 nach der Spendenaffäre den Parteivorsitz entrissen. Man sei nicht immer einer Meinung gewesen, aber immer denselben Weg gegangen, hätte schon 1999 auf einem Wahlkampfplakat gestanden. „Als Ihre Generalsekretärin durfte ich erfahren, was es heißt, auch in schwierigen Situationen und in Phasen von spürbaren Meinungsunterschieden getragen zu sein von einer mehr als professionellen, immer sehr, sehr guten Zusammenarbeit.“

Das schwierige Thema Helmut Kohl umschiffte die Kanzlerin. Das sprach Schäuble später selbst beim Namen an, als Merkel wegen eines Wahlkampfauftritts in Freiburg bereits die Halle verlassen hatte. In seiner Anwesenheit werde ja wenig über Helmut Kohl geredet, „aber ich habe viel von ihm gelernt“, so Schäuble.

Anders als Merkel wolle er die Deutsche Einheit und das europäische Projekt nicht voneinander trennen, sagte EU-Kommissionspräsident Juncker in seiner Laudatio. Denn ohne die europäische Einigung wäre die Deutsche Einheit nicht möglich gewesen, so Juncker. Schäuble habe sich stets für die Integration Europas eingesetzt. „Europa verdankt dem deutschen Finanzminister sehr viel.“ Er sei ein Mann des Kompromisses, aber vor allem ein Mann der Lösung. Besonders erwähnenswert sei sein konstantes Bemühen um die deutsch-französische Freundschaft. „Wolfgang Schäuble hat, und das können nicht viele von sich behaupten, die Welt besser gemacht.“

„Sie haben mir eine Riesenfreude gemacht, ich denke schon an den 80. Geburtstag“, sagte Schäuble. Der Minister war sichtlich bewegt. Ein langer Weggefährte sagte nach der Veranstaltung, er habe Schäuble nur zweimal öffentlich so emotional gesehen wie an diesem Tag: bei der Verleihung des Karlspreises und der Ernennung zum Ehrenbürger Berlins.

Schäuble wird sicher noch viele Ehrungen erhalten. Ob noch weitere Jahre als Finanzminister hinzukommen, dazu machten weder er noch Merkel sechs Tage vor der Wahl auch nur den Anflug einer Andeutung. Merkel sagte, sie kämpfe dafür, dass zu der 45 Jahre langen Zugehörigkeit Schäubles zum Bundestag vier weitere hinzukämen. Schäuble sagte, er habe ursprünglich gar nicht geplant, Politiker zu werden, habe es aber auch nie bereut. Wenn Freunde ihn fragten, warum er sich das auch mit 75 Jahren noch antue und wieder für den Bundestag kandidiere, antworte er: „Weil's mir Freude macht.“

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