Die massiven Stimmverluste der beiden großen Parteien Union und SPD sowie der Wahlerfolg der rechten AfD haben in der deutschen Wirtschaft Unsicherheit und Sorge ausgelöst. "Die AfD im Deutschen Bundestag schadet unserem Land", sagte Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer am Sonntag.
Längerfristig negative Folgen für den Wirtschaftsstandort Deutschland sieht auch das deutsche Handwerk. Zugleich fürchten viele Wirtschaftsvertreter nun eine Hängepartie bei der Regierungsbildung verbunden mit weniger politische Stabilität. "Wir brauchen in diesen schwierigen Zeiten eine stabile Regierung", mahnte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Eric Schweitzer.
Nicht nur Mittelstandspräsident Mario Ohoven begrüßte allerdings die Rückkehr der FDP in den Bundestag. "Das eigentliche Erdbeben ist: Die SPD möchte in die Opposition", sagte Thomas Gitzel, der Chefvolkswirt der VP Bank. Otmar Lang von der Targobank wies darauf hin, dass eine CDU-geführte Regierung mit einer wirtschaftsfreundlichen FDP als Partner an den Märkten sicher gut ankomme. Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer hält es aber für schwierig, eine Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen zustande zu bringen.
Außenhandelspräsident Anton Börner merkte an, mehr als ein Fünftel der Wähler habe mit der AfD und der Linken für radikale Parteien am rechten und linken politischen Rand gestimmt. "Das ist kein gutes Ergebnis für die Republik", sagte er. Börner sieht darin ein Votum gegen das bewährte Wirtschaftssystem und gegen Ab- und Ausgrenzung.
Arbeitgeberpräsident Kramer forderte die übrigen Parteien auf, die AfD in der direkten parlamentarischen Auseinandersetzung zu stellen. "Es ist an der Zeit, die dumpfen, nationalistischen und völkischen Parolen zu entlarven." Eine Mitschuld am Erstarken der Rechten gibt der Präsident des Mittelstandsverbandes, Ohoven, der großen Koalition. Sie habe abgewirtschaftet und dafür die Quittung bekommen.
Was passiert, wenn ...
In Deutschland gilt, dass Abgeordnete gewählt werden, nicht Parteien. Die Abgeordneten können selbstständig handeln und für sich entscheiden, ob sie Mitglied einer Fraktion sein wollen oder nicht. Falls nicht, gelten sie als fraktionslos. Das verlorene Fraktionsmitglied kann nur ersetzt werden, wenn ein anderer Abgeordneter in die Fraktion hinein wechseln will. Solche Wechsel können das Mehrheitsverhältnis im Parlament beeinflussen.
Fraktionslose Politiker haben weniger Rechte. Sie können keine Gesetzesinitiativen starten oder beim Ältestenrat Plenardebatten beantragen. Ausschüssen können sie zwar als beratende Mitglieder mit Rede- und Antragsrecht angehören, dürfen aber nicht abstimmen. Auch das Rederecht im Plenum ist begrenzt.
Erst wenn einzelne Abgeordnete eine Gruppe im Bundestag bilden, haben sie in den Ausschüssen volles Stimmrecht. Fraktionsstatus erhält eine Partei aber erst, wenn sie über mindestens fünf Prozent der Sitze verfügt.
Dann sind sie automatisch kein Mitglied der Fraktion ihrer ehemaligen Partei mehr. Der Abgeordnete, der seine Partei verlässt, bleibt aber weiterhin Mitglied des Bundestages. Er ist parteilos und fraktionslos. Der frei gewordene Platz in seiner Partei wird aber nicht ersetzt, die Partei hat nach dem Austritt eines Abgeordneten einen Platz weniger. Der Grund: In Deutschland werden Abgeordnete gewählt, nicht Parteien. Das gilt auch für Listenmandate.
Ministerposten werden vom Bundeskanzler vorgeschlagen. Um vorgeschlagen zu werden, müssen Kandidaten nicht einmal Mitglied des Bundestages sein oder einer Partei angehören. Theoretisch könnte also jeder als Minister vorgeschlagen werden, wenn der Bundeskanzler ihn als qualifiziert erachtet.
Dem steht nichts im Wege. Wenn sich fünf Prozent (entspricht circa 32 Personen) der Bundestagsabgeordneten einer neuen Partei anschließen, dürfen diese auch während einer laufenden Legislaturperiode eine Fraktion bilden. Dabei ist irrelevant, ob diese neue Partei bei der Bundestagswahl zur Wahl stand.
DIHK-Präsident Schweitzer fürchtet nach der Wahl vor allem eine Zeit größerer politischer Instabilität und Unsicherheit. "Der Wahlausgang macht die Regierungsbildung nicht leicht", sagte er. Dabei müsse gelten: "Es geht Qualität vor Zeit."
Ähnlich sieht das der Generalsekretär des Handwerksverbandes ZDH, Holger Schwannecke. Entscheidend sei, dass es nicht zu zähen, langandauernden Koalitionsverhandlungen komme. Vielmehr müsse nun schnell wieder Regierungsfähigkeit hergestellt werden und ein zukunftsorientiertes Konzept erarbeitet werden. "Die Parteien müssen nun rasch ihre Schnittmengen und Möglichkeiten für eine Regierungskoalition ausloten", mahnte er. Es gebe die große Herausforderung, Wachstum und Arbeitsplätze für die Zukunft zu sichern.
Die Verband "Die Familienunternehmer" begrüßte, dass mit der neu aufgestellten FDP wieder eine "klare ordnungspolitische Stimme im Bundestag vertreten ist". Ein "weiter so" könne es nach dem Wahlergebnis vom Sonntag jedenfalls nicht geben.
DGB-Chef Reiner Hoffmann bezeichnete das Ergebnis am Montag im ZDF als erschütternd aus Gewerkschaftssicht. Es sei keine gute Nachricht für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Hoffmann kündigte an, die Gewerkschaften würden auch von einer neuen Regierung mehr Investitionen in Bereichen wie Bildung und Infrastruktur fordern.
Darüber hinaus äußerte er Verständnis, dass die SPD nach ihren herben Verlusten in die Opposition gehen will. Antworten auf grundlegende Zukunftsfragen zu finden werde in einer Jamaika-Koalition "alles andere als einfach", erklärte er. Die Gewerkschaften würden eine Regierung daran messen, was sie für gute Arbeit, anständige Löhne und eine anständige soziale Sicherung im Alter tue.