Knauß kontert Wenn Wahlen keinen Spaziergang wert sind

Das TV-Duell könnte zur Farce werden: Die Kanzlerin wird Kanzlerin bleiben, der „Herausforderer“ greift sie nur zum Schein an. Kein Wunder, dass diese Wahl immer mehr Bürgern nicht mal einen Gang ins Wahllokal wert ist.

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Wahlwerbung zur Briefwahl. Quelle: imago images

Ist heute ein besonders wichtiger, entscheidender Tag für Deutschland? Nicht wirklich.

Die Spannung, die der Politik- und Medienbetrieb vor dem TV-Duell der Bundeskanzlerin gegen den Kanzlerkandidaten der SPD aufzubauen bemüht ist, dürfte sich bei den meisten Zuschauern und Wählern in Grenzen halten. Obwohl Fernsehduelle in der Vergangenheit, glaubt man Wahlforschern, eher dem Herausforderer nutzten, weil er weniger medienpräsent als der Amtsinhaber ist und so die Chance hat, sich besser zu schlagen, als man es erwartet hätte, glaubt dieses Mal wohl kaum jemand, dass Martin Schulz der Kanzlerin tatsächlich noch gefährlich werden könnte. Ohnehin, so der Wahlforscher Matthias Jung, hat „ein Großteil der Zuschauer bereits Präferenzen für den einen oder anderen Kandidaten“ und sehe sich „durch das, was er hört, eher bestärkt.“

Kann man nach all den Kanzlerinneninterviews der jüngeren Vergangenheit erwarten, dass Angela Merkel irgendetwas inhaltlich Bemerkenswertes von sich gibt, das man noch nie von ihr hörte? Wissen nicht längst alle Deutschen wie ihre Kanzlerin so spricht und auftritt? Und Schulz? Kann man erwarten, dass Schulz die Kanzlerin da trifft, wo es ihr wehtun könnte? Wohl kaum.

Allein die Frage, wie der eine oder die andere „rüberkommt“, dürfte die Neugierde der Millionen Fernsehzuschauer wecken: Wer von beiden wirkt souveräner, macht ein sympathischeres Gesicht, verhaspelt sich seltener? Ein Hochfest für Psychologen, Analysten und Voyeure – aber wer Merkels und Schulz‘ bisherigen Wahlkampf verfolgte, wird kaum erwarten können, dass die beiden kontrovers über die zentralen politischen Fragen streiten, die das Wahlvolk umtreiben.

Demokratische Wahlen sind – eigentlich – die große Abrechnung des Souveräns, also des Staatsvolkes mit den Regierenden. Der Soziologe Wolfgang Streeck spricht von der „plebejischen Dimension der Demokratie“. Nachdem die Politik vier Jahre lang Sache der Berufspolitiker war, kann der eigentliche Chef im demokratischen Staat, sein vielstimmiges Machtwort sprechen. In Wahlkämpfen ist es daher – eigentlich - üblich, dass die Opposition, um sich dem Souverän als bessere Alternative zu empfehlen, den Regierenden ihr bisheriges Versagen möglichst vernehmbar um die Ohren haut. Daraus und aus der Rechtfertigung der Regierungsparteien entsteht die dialektische Dynamik eines Wahl-„Kampfes“ um die Gunst des Souveräns.

Aber an diesem Sonntag stehen sich im Fernsehstudio von Adlershof letztlich zwei Regierende gegenüber. In acht von bislang zwölf Merkel-Jahren hat Schulz‘ Partei mitregiert. Das fundamentale und multiple Versagen, das der Bundesregierung vorzuwerfen wäre – ihre hilflose Getriebenheit in der wichtigsten aller Fragen, nämlich der Einwanderung, die überstürzte und mit unübersehbaren Kosten verbundene Energiewende, die allenfalls hinausgeschobene Euro-Schulden-Krise, das drohende Scheitern der Europäischen Union – hat Schulz’ Partei mindestens so sehr zu verantworten wie Merkel und die Union. Wie soll ausgerechnet Martin Schulz die wunden Punkte der Kanzlerin angreifen, wenn es gleichzeitig die wunden Punkte seiner eigenen Parteifreunde sind?  

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