Vor einiger Zeit hat ein SPD-Wahlstratege ein Wort erfunden, es hieß „durchmerkeln“. Das sollte natürlich nach durchwursteln klingen, nach improvisierten Herumregieren ohne Ziel und ohne Plan. Durchmerkeln, so die Hoffnung damals, würde zum geflügelten Wort, um Angela Merkels Politikstil erst zu beschreiben und dann zu denunzieren. Das Wort sollte den Anfang vom Ende der Ära Merkel markieren.
So wie die Dinge liegen, wird nichts davon in Erfüllung gehen. Eher im Gegenteil: Wer der Kanzlerin in diesen Tagen zuhört, auf den Marktplätzen, beim TV-Duell mit Herausforderer Martin Schulz oder am Montagabend alleine in der ARD-Wahlarena, der muss den Eindruck gewinnen, dass die Bürger mit der Herummerkelei keinerlei Probleme haben. Dass sie ihren tastenden, visionslosen, überpragmatischen Ansatz des Abarbeitens sogar schätzen.
Merkel gewann das direkte TV-Duell gegen ihren SPD-Herausforderer, obwohl sie kaum einen Satz sauber zu Ende brachte. Immer wieder hat man den Eindruck, dass sich Merkel, während sie spricht, selbst überrascht beim Denken beobachtet. Wo Schulz pointiert, klar und entschlossen formuliert, mäandert die CDU-Chefin durch jede Argumentation. Und doch: Wenn man den Umfragen wenigstens ein bisschen Glauben schenkt, dann legen die Wähler Merkel das nicht als Schwäche aus. Vielmehr sehen sie darin offenbar eine Regierungschefin, die offen mit der Komplexität der Welt ringt und dabei stets das Beste will. In einem Zeugnis würde stehen: Sie war stets bemüht.
Die ARD-Wahlarena am Montagabend, in der 150 ausgewählte Bürger Fragen stellen konnten, war da keine Ausnahme. Angela Merkel behagen solche Fernsehformate sichtbar nicht, das Spontane missfällt ihr, das Unplanbare daran ebenfalls. Sie hat zwar gelernt, mit persönlichen Gegenfragen Nähe und Verbundenheit aufzubauen, den Fragenden auch mal ein paar Schritte entgegen zu kommen. Dennoch ist diese Art der Nähe und Unmittelbarkeit ihr unangenehm.
Im Gegensatz zum TV-Duell wurde Merkel allerdings auch nicht geschont. Egal, ob es um die Pflege in Krankenhäusern, die Obergrenze für Flüchtlinge oder Integration ging, viele der Fragesteller ließen sich von den Kameras ebenso wenig einschüchtern wie von Merkel selbst. Sie fragten und hakten nach. Immer wieder musste die Kanzlerin den Satz sagen, sie könne nicht versprechen. Selbst das Maut-Versprechen von 2013 tauchte wieder auf.
Und doch wirkte das Durchmerkeln auch hier: Die Kanzlerin mag kein Interesse (mehr?) an einem großen Reformentwurf für die Republik haben, aber sie verfügt und zeigt eine beeindruckende Sachkenntnis im Detail. Merkel referiert wechselnd über Pflegequoten, Meeresschutz und Rentenniveau, Kitagebühren, Riester und Spätabtreibungen. Kein Thema, das von ihr nicht mit Vorhaben, Gesetzen oder Plänen gekontert wird.
Merkel mag dabei zögerlich und zurückhaltend wirken. Aber gleichzeitig setzt sie damit, bewusst oder unbewusst, die Botschaft, dass es da draußen in der Wirklichkeit fürchterlich kompliziert zugeht. Und dass man all denen nicht glauben dürfe, die so tun als das Regieren einfach. Wer sich diese Komplexität lieber vom Leibe halten will, für den hat Merkel dann ein Angebot. Sich selbst.