Wahlergebnis Sachsen "Die Menschen haben das Original gewählt"

Warum ist die AfD so stark in Dresden und Umland und nicht so stark in Leipzig. Unternehmer Lutz Heimrich streitet in Coswig seit Jahren öffentlich mit Politikern und hat dabei viel über den Umgang mit der AfD gelernt.

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Stärkste Partei, drei Direktmandate: Sachsen ist die AfD-Hochburg. Im ganzen Osten hat die AfD besonders bei Männern punkten können. Quelle: dpa

WirtschaftsWoche: Herr Heimrich, Sie sind 1990 von Düsseldorf nach Sachsen gegangen und haben dort Ihr Unternehmen aufgebaut. Sie haben öffentlich viel mit Politikern und Bürgern über Pegida und die AfD gestritten und kennen die Situation vor Ort. In Sachsen errang Frauke Petry ein Direktmandat in ihrem Wahlbezirk. Sie haben ihr Unternehmen in Coswig bei Meißen aufgebaut, in dem Wahlbezirk wählten 32,9 Prozent die AfD. Hat Sie das Ergebnis überrascht?
Lutz Heimrich: In der Höhe, in der die AfD in einigen Wahlbezirken vorne liegt, habe ich nicht mit dem Ergebnis gerechnet, nein. Das hat mich schon überrascht. Besonders in Dresden selbst. Da dachte ich mir, dass die Stadt ein wenig gemäßigter und liberaler sei. Trotz der Montags-Spaziergänge von Pegida. Weil dafür doch wöchentlich recht viele Teilnehmer aus dem Umland kamen und die Dresdner Zivilbevölkerung dagegen doch etwas resistenter schien.

Zur Person

Lediglich im Wahlkreis im Zentrum Dresdens ist die CDU stärkste Partei, ansonsten gewann mit mehr als 30 Prozent die AfD. Leipzig hat ganz anders gewählt, dort sind die Linken teilweise stärkste Kraft. Das sind die großen Städte Sachsens, die sehr unterschiedlich gewählt haben. Was ist in Dresden anders?
Leipzig hat eine andere Historie. In Dresden und dem gesamten Umland, insbesondere der Sächsischen Schweiz, also je weiter man gen Osten schaut, reden wir über eine Sonder-situation. Da wäre zum einen die fehlende Kommunikation – das berühmte Tal der Ahnungslosen kennt jeder. Auch durch die reine Konzentration auf Verwaltung und weniger Handel und Kommunikation sind die Dresdner immer etwas ruhiger und introvertierter gewesen. Und sie sind dadurch anfälliger geworden für Parolen, wie sie die AfD parat hat. Da gehört auch eindeutig das Thema Ressentiments gegenüber Veränderungen und insbesondere dem Fremdem jeglicher Art hinzu.

Das heißt?
Dass es eben nicht nur gegen Asylanten oder Flüchtlinge, sondern gegen Fremdes und Neues generell Vorbehalte gibt. Das durften und dürfen gern auch mal Westdeutsche sein. Ich bin seit 1990 hier und komme eigentlich aus Düsseldorf und hatte die ersten fünf Jahre schon darunter zu leiden, dass die Dresdner sich sehr verschlossen bis abweisend verhalten haben. Das ist ein typisch Dresdner bzw. ostsächsisches Phänomen. In Leipzig gab es immer schon die Messe. Leipzig war eine Handelsstadt und somit weltoffener. Deswegen hat Leipzig eine ausgeprägte kulturelle und subkulturelle Szene mit mehr Einflüssen von außen. Und Kurt Biedenkopf hat in den ersten zehn Jahren den Sachsen beinahe täglich gesagt, wir verändern nichts und ihr seid die Besten. Das hat dazu beigetragen, dass insbesondere der dafür sehr empfängliche Dresdner der Meinung ist, er sei etwas Besonderes.

Der Unternehmer Lutz Heimrich führt seine Firma in Coswig und kämpft gegen die AfD. Quelle: Presse

Dresden als Stadt ist eine Touristenattraktion, hat zahlreiche Besucher, darunter auch viele internationale Gäste. Das hat nicht ausreichend verändert?
Das diffundiert nur nicht unbedingt ins Umland. Wenn man einige Kilometer rausfährt, hat man oft noch die komplette Diaspora. Da sind Dörfer ohne Gasthof , wo man denkt, es sei seit der Wende alles stehen geblieben. Viele gute Leute sind in die Stadt gegangen oder haben Sachsen ganz verlassen. So ist eine intellektuelle Austrocknung insbesondere in den östlichen Regionen bis Bautzen und Görlitz erfolgt. Weil da eben nicht mehr viel passiert. Die ganzen Leuchttürme in Dresden, die IT und die Silicon-Saxony-Geschichte, das ist alles schön, da gibt’s auch ganz viel Humankapital, aber vieles von dem ist auch von außerhalb dazugekommen. Davon hat leider auf viele der Bewohner recht wenig abgefärbt.

„Zweistelliges Ergebnis für die AfD ist schockierend“
Matthias Müller, Vorstandsvorsitzender von Volkswagen Quelle: dpa
Werner Baumann, Vorstandsvorsitzender der Bayer AG Quelle: dpa
Johannes Teyssen, Vorstandsvorsitzender von E.On Quelle: REUTERS
Utz Tillmann, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI) Quelle: VCI / René Spalek
Klaus Schäfer, Vorstandsvorsitzender von Uniper Quelle: dpa
Gisbert Rühl, Vorstandsvorsitzender des Stahlhändlers Klöckner & Co SE Quelle: REUTERS
Stefan Sommer, Vorstandschef der ZF Friedrichshafen AG Quelle: dpa

Wenn es so aussieht, als sei dort nicht viel passiert – wurde die Gegend rund um Dresden dann vielleicht auch tatsächlich von der Politik vernachlässigt?
Nein, im Großen und Ganzen nicht, es wurden ja auch viele Sachen schön gemacht. Es gibt pittoreske Dörfchen, Schloss Moritzburg nördlich von Dresden, auch Meißen ist schön herausgeputzt – und hat dennoch einen sehr hohen AfD-Anteil. Es wurde und wird genug investiert. Aber es gibt ein Gefälle – auf dem Land wird das leider besonders sichtbar.

In der Diskussion vor und nach der Wahl wurde die AfD recht deutlich als Nazi-Partei bezeichnet. Sind die Wähler in und rund um Dresden häufig Nazis?
Einem Teil der Wähler könnte man dieses Attribut sicher geben, wie auch vielen AfD-Wählern in anderen Bundesländern. Aber ich denke, dass eine Vielzahl der Wähler einfach ihren Frust zum Ausdruck gebracht hat und diese Arroganz der CDU abstraft, das alles toll sei, was man mache und gemacht habe. Dazu kommt eine tief verwurzelte Links-Phobie. Alles, was Links ist, ist in dieser Region ja schon kurz vorm Verbrechertum. Hier wurde schon immer sehr konservativ gedacht. Und auch daran ist die CDU, obwohl sie hier schon viel zu viel am rechten Rand gefischt hat, im Versuch, eine Kopie der AfD zu sein, gescheitert. Da haben die Menschen einfach das Original gewählt. Dazu kommt: In der Rangliste der politischen Bildung unter Jugendlichen steht Sachsen ganz unten. Hier wurde sehr wenig für die Jugend getan. Deswegen sieht man hier auf den Dörfern auch viele Jugendliche, die sich an den Tankstellen treffen mit einschlägigen Aufklebern an den Autos. Das ist massiver Ausdruck einer Desillusionierung. Diese Randgruppe ist hier mittlerweile keine mehr, sondern die Mehrheit, die sich zusammentut und sagt: „Seht mal, wie schlecht es uns hier geht. Und die da oben sind schuld.“ Sie sind nicht aktiv irgendwo mitgegangen, sie haben sich einfach so mitnehmen lassen. Es gibt auch ein massives Ausblenden dessen, was in den vergangenen 25 Jahren erreicht wurde verbunden mit einem in weiten Teilen fehlenden Demokratieverständnis.

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