Die Nation soll sich mal wieder anstrengen. Vor einigen Monaten noch ging es um „Willkommenskultur“ und „Integration“, wenn die Bundesregierung unter Hinweis auf die angebliche „Stärke“ Deutschlands das bundesrepublikanische Kollektiv („wir“) zu einer nationalen Kraftanstrengung ermunterte („schaffen das“).
Nun, ein paar Hunderttausend Zuwanderer (wenn man die offenbar zahlreichen Mehrfach-Identitäten abzieht, sind es wohl weniger, als in der offiziellen Statistik vermerkt) und mehrere Terroranschläge später ist die Aufforderung der Regierenden eine ganz andere: „Angesichts des zu erwartenden deutlichen Anstiegs der Zahl von Ausreisepflichtigen nach Abarbeitung aller Asylverfahren brauchen wir eine nationale Kraftanstrengung beim Thema Rückkehr“, schreibt Bundesinnenminister Thomas de Maizière in einem Gastbeitrag in der FAZ.
Sollen nun ebenjene Bürger, die zuvor ihre Türen und Herzen für die Zuwanderer öffneten, sie ebenso engagiert verabschieden? Die Absurdität ihrer Volten kann die unionsgeführte Bundesregierung mit Merkel an der Spitze ihren Wählern nicht ersparen – solange man nicht zugeben will, dass die Willkommenspolitik von 2015 ein eklatanter Fehler war. Sie muss darauf hoffen, dass den Bürgern die Illusionen der Willkommenskultur genauso peinlich sind wie vermutlich den Regierenden.
Die Worte des Ministers machen deutlich, dass die Bundesregierung im Superwahljahr 2017 nicht mehr an die Herzen der „Menschen“, für die sich die Kanzlerin persönlich zuständig hielt, appelliert, sondern die kalte Hand des Staates zeigen will. Und für die ist Merkels getreuer Innenminister zuständig. Was der im Sinne hat, wenn er von „nationaler Kraftanstrengung“ spricht, ist vor allem ein deutlicher Machtzuwachs für den Bund gegenüber den Ländern in allen wichtigen Fragen der Sicherheits- und Einwanderungspolitik. De Maizière schlägt angesichts von Terrorgefahr und Massenzuwanderung ein ganz Bündel von Neuregelungen vor, die alle dazu führen würden, dass seine Zuständigkeiten als Bundesinnenminister deutlich größer und die seiner Länderkollegen deutlich kleiner würden.
So schlägt er vor, „dass der Bund eine ergänzende Vollzugszuständigkeit bei der Aufenthaltsbeendigung erhält“. Abschiebungen könnten so unter der Regie des Bundes „unmittelbar vollzogen“ werden. Bislang sind Abschiebungen Ländersache. Der Minister regt in dem FAZ-Beitrag die Einrichtung von „Bundesausreisezentren“ an. Diese sollten den Ländern „eine Verantwortungsübergabe“ für die letzten Tage oder Wochen des Aufenthalts von Ausreisepflichtigen ermöglichen. „Ausreisezentren sind gesetzlich bereits möglich und könnten vorzugsweise in der Nähe deutscher Verkehrsflughäfen errichtet werden“, schreibt de Maizière.
Das bedeutet der Anschlag von Berlin für die Sicherheit in Deutschland
Sicherheitsexperten glauben: Nein. Der Chef des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch, sagt, die Gefährdungseinschätzung habe sich nicht verändert. „Wir haben schon vor der Tat gesagt, dass wir in Deutschland eine ernst zu nehmende Bedrohungslage haben. Dass der islamistische Terrorismus ganz maßgeblich die Sicherheitslage in Deutschland prägt“, betont er. Mit dem Attentat von Berlin habe sich die Gefährdungseinschätzung quasi realisiert. Deswegen geht Münch nun nicht von einer anderen Gefährdungslage aus.
Generalbundesanwalt Frank sagt, man müsse von einem terroristischen Hintergrund ausgehen. Dafür spricht nach seinen Angaben, dass ein Lkw benutzt wurde und der Anschlag in der deutschen Hauptstadt damit an das Attentat von Nizza vom 14. Juli erinnert. Am französischen Nationalfeiertag war ein islamistischer Attentäter mit einem Lastwagen in eine Menschenmenge gerast und hatte 86 Menschen getötet und mehr als 200 verletzt.
Hinzu komme das prominente und symbolträchtige Anschlagsziel Weihnachtsmarkt, sagt Frank. Außerdem führt er die Vorgehensweise des Attentäters an, den „Modus operandi“. Der ist schon länger in Aufrufen dschihadistischer Terrororganisationen zu finden. Aber es gebe kein Bekennervideo - und deswegen seien endgültige und abschließende Aussagen zum Hintergrund des Anschlags nicht möglich, sagt Frank. Die Polizei ermittele nach wie vor in alle Richtungen.
Grundsätzlich ja und seit längerem. Aber: Noch gibt es keinen Beleg, das der Islamische Staat (IS) tatsächlich hinter der Attacke steckt. Den Sicherheitsbehörden lagen zunächst kein Bekennerschreiben und kein Bekennervideo vor. Grundsätzlich sind Deutschland genau wie Frankreich, Großbritannien, Spanien oder andere europäische Staaten quasi seit Jahren im Visier islamistischer Terroristen.
Auch hier gilt, was Experten seit langem sagen: Absolute Sicherheit gibt es nicht. Zwar haben die Behörden in vielen Bundesländern die Sicherheitsmaßnahmen für Weihnachtsmärkte erhöht, zusätzliche Polizisten abgestellt und auch mehr Videoüberwachung installiert. Doch auch Betonpoller oder andere Schutzmaßnahmen dürften einen zu allem entschlossenen Attentäter kaum aufhalten.
Ja und Nein. Bis Montagabend war Deutschland von einem größeren Anschlag mit zahlreichen Toten und islamistischem Hintergrund verschont geblieben. Das hatte oft mit Glück, aber auch mit der Ermittlungsarbeit der deutschen Sicherheitsbehörden zu tun. Viele islamistische Heimkehrer aus den IS-Kriegsgebieten in Syrien und dem Irak sind als Gefährder bekannt und werden überwacht. Geholfen haben öfters auch die Kontakte zu befreundeten Geheimdiensten etwa wie dem umstrittenen US-Dienst National Security Agency (NSA). Die deutschen Geheimdienste haben in der Vergangenheit häufiger Tipps von ihren internationalen Kollegen erhalten.
Der Bund benötige eine „Steuerungskompetenz über alle Sicherheitsbehörden“, wo Bund und Länder in Angelegenheiten der Sicherheit des Bundes zusammenarbeiten. Konkret verlangt de Maizière eine Stärkung des Bundeskriminalamts (BKA), eine Abschaffung der Landesämter für Verfassungsschutz zugunsten des Bundesverfassungsschutzes Bundesverwaltung sowie den Ausbau der Bundespolizei.
Die Befugnisse des BKA seien zu eng gefasst. „Wir brauchen einheitliche Regeln und eine bessere Koordinierung, zum Beispiel bei der Kontrolle von Gefährdern“, schreibt de Maizière. Auch das Verfolgen von Verdächtigen müsse künftig stärker vom Bund gelenkt werden können. „Wir brauchen wirksamere polizeiliche Fahndungsmaßnahmen“, schreibt de Maizière weiter. Die Bundespolizei müsse „neben den Polizeien der Länder eine zentrale Verfolgungs- und Ermittlungszuständigkeit zur konsequenten Feststellung unerlaubter Aufenthalte in Deutschland erhalten“. So genannte Schleierfahndungen sollen im ganzen Bundesgebiet, nicht nur in Grenznähe möglich sein.
Bei denen, die all dies umsetzen sollen, kommt das gut an. Der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in der Bundespolizei, Sven Hüber, hat die Vorschläge von de Maizière grundsätzlich begrüßt. Die Bundespolizei zukünftig auch für die Verfolgung der Straftat des unerlaubten Aufenthalts in Deutschland zuständig zu machen, sei überfällig. Sie kann nach Auffassung der GdP aber nur funktionieren, wenn der Bund vor allem die Bahnpolizei und die Ermittlungsdienste dafür zusätzlich personell aufstockt.