Der lange Weg zur Arbeit Warum Stau manchmal sogar Absicht ist

Der Albtraum vieler Pendler: Stau auf dem Weg zur Arbeit, Stau auf dem Rückweg. Quelle: dpa

Stau auf dem Weg zur Arbeit, Stau auf dem Heimweg. 154 Stunden waren es im Schnitt bei den Berlinern 2018. Verkehrsforscher Tobias Kuhnimhof sagt, mehr Verkehr sei nicht der Grund dafür. Und mancher Stau hat sogar einen verkehrstechnischen Sinn.

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WirtschaftsWoche Online: Pendler in Deutschland verbringen viele Stunden auf den Straßen oder in Zügen – weil sie im Stau stehen, weil der Zug zu voll ist, um die Türen zu schließen. Warum dauert der Weg zur Arbeit gefühlt häufig so lange?
Tobias Kuhnimhof: Grundsätzlich ist es so, dass die Deutschen pro Tag rund 80 Minuten im Verkehr verbringen. Das ist ein Wert, der eigentlich seit Jahrzehnten in Deutschland recht stabil ist. Und das ist in etwa auch das, was wir weltweit messen. Menschen sind offenbar bereit im Durchschnitt eine gute Stunde pro Tag im Verkehr zu verbringen.

Wir sind also nicht länger unterwegs, weil einfach auch immer mehr Menschen auf den Straßen unterwegs sind? Das ist ja häufig die Annahme – gerade bei belasteten Pendlern…
Es geht in der Tat leicht nach oben, aber nur sehr, sehr langsam. Man kann jetzt nicht unbedingt sagen, dass wir dramatisch mehr Zeit im Verkehr verbringen. Insgesamt zeigt sich, dass der Alltagsverkehr in Deutschland also gar nicht mehr sonderlich stark wächst. 40 Kilometer legt der Durchschnittsdeutsche am Tag zurück.

Hat sich das Fahrverhalten von Pendlern in den vergangenen Jahren oder Jahrzehnten also tatsächlich nicht verändert?
Schon. Deutsche Pendler fahren heute weiter als vor zwanzig Jahren. Verkehrsforscher sprechen hierbei von größer werdenden räumlichen Aktionsrahmen. Dies hängt unter anderem mit der Spezialisierung der Berufe zusammen. Der nächste Job, den es von meinem Zuhause aus gibt, ist das Zahnlabor in der Straße gegenüber. Mit diesem Arbeitgeber kann ich so gut wie nichts anfangen. Also fahre ich ein wenig weiter zur Arbeit. Bei immer spezifischeren Jobprofilen ist das Jobangebot nicht mehr flächendeckend vorhanden und man muss Kompromisse finden. Häufig liegen die in weiteren Wegen. Hinzu kommt dann, dass zwei oder noch mehr berufstätige Personen in einem Haushalt im schlimmsten Fall in verschiedene Richtungen zur Arbeit fahren.

Zur Person

Dadurch dass die Gesamtmenge der Zeit, die wir im Verkehr verbringen ungefähr gleich geblieben ist, aber die Strecken länger, können wir ableiten, dass das Reisetempo der Pendler immer schneller geworden ist über die vergangenen Jahrzehnte. Nur mit höherer Geschwindigkeit erreichen wir die weiter entfernten Ziele in der gleichen Zeit.

Jetzt sagen Sie, wir seien nur schneller und gar nicht länger unterwegs als früher. Die Wahrnehmung vieler ist aber trotzdem, dass sie immer länger an ihr Ziel brauchen im Pendlerverkehr. Ist das also nur eine subjektive Wahrnehmung und so gar nicht richtig?
Also ich kenne keinen richtig guten Zahlen, die das belegen würden. Wenn wir jetzt deutliche Stauzunahmen hätten, die sich messen lassen, stellt sich zunächst einmal die Frage: Was davon ist wirklich auf zunehmenden Pendlerverkehr zurückzuführen? Eine große Zahl von Baustellen oder Unfällen sind schließlich tagtägliche Ursachen für Stau. Das ist sehr komplex.

Was sich eindeutig sagen lässt: Der Zugverkehr ist in den vergangenen zwanzig Jahren pro Person um 20 Prozent gewachsen. Das ist ein sehr massives Wachstum und das erklärt auch die volleren Züge. Das Angebotswachstum hat mit dieser Nachfrageentwicklung nicht mitgehalten. Wir haben natürlich auch nach wie vor ein Wachstum im Pkw-Verkehr. Aber das geht mehrheitlich auf den Fernverkehr zurück. Der überlagert sich natürlich auf den Autobahnen rund um und in den Ballungsgebieten auch mit dem Pendlerverkehr.

Überrascht diese Entwicklung denn oder muss man sagen, dass die deutschen Infrastruktur-Planer einfach nicht hinterher kommen?
Man könnte eher sagen, die Entwicklung wird wohl wissend so hingenommen. Wenn Menschen schneller werden, dann neigen sie dazu ihre Aktionsradien zu vergrößern. Wenn wir also die Straßen noch weiter ausbauen und den Stau beheben würden, dann würde der Verkehr noch einmal schneller werden und Menschen würden ihren Aktionsradius erneut vergrößern und wir hätten dann wieder Stau – nur auf noch höherem Niveau.

Früher wurde häufig ein Spruch zitiert: „Wer Straßen säht, wird Verkehr ernten.“ Da ist etwas Wahres dran. Verkehrsforscher sprechen hierbei von induziertem Verkehr: Überall, wo das Verkehrsnetz ausgebaut wird, weiten die Menschen ihre Handlungszone aus und der Verkehr wächst.

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