Digitale Bedrohung Bundeswehr findet keine Cyber-Krieger

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen will die Bundeswehr gegen digitale Bedrohungen rüsten. Doch dafür fehlen Geld, Strategie und gutes Personal.

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Noch sitzt der Mann, der Deutschland für die digitalen Gefechte der Zukunft rüsten soll, im analogen Bendler-Block und wartet auf den Umzug. Marcel Yon ist 49 Jahre alt, hochgewachsen, trägt einen militärisch-akkuraten Haarschnitt und ist der erste Mann im Cyber Innovation Hub der Bundeswehr. Als solcher soll er von Jungfirmen entwickelte Technologien auf ihre Tauglichkeit fürs Militär abklopfen: Telemedizin für den Auslandseinsatz oder Algorithmen, die Boote im Mittelmeer besser aufspüren, als es das menschliche Auge vermag. Und er soll Talente anziehen, damit das Militär auch im digitalen Zeitalter mithalten kann.

Yon ist einer der größten Hoffnungsträger von Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), die unter enormem Druck steht. Spionage, Manipulation, Zerstörung – allein in den ersten zwei Monaten dieses Jahres gab es 280.000 Cyberattacken auf die Bundeswehr. Von der Leyen muss das deutsche Militär nun für den Krieg im Netz rüsten: Sie hat ein Cyberkommando eingerichtet, das bis 2021 mit einer Stärke von 15.000 Mann einsatzbereit sein soll. Sie investiert in diesem Jahr 1,6 Milliarden Euro in die Modernisierung der IT, spendiert der Bundeswehruniversität München einen eigenen Studiengang für Cybersicherheit. Und sie lässt auf riesigen Anzeigen die digitale Kompetenz der Truppe bewerben.

Den Cyberkrieg aber wird sie nur gewinnen, wenn sie kluge Köpfe für das Wettrüsten im Netz rekrutieren. Doch nirgendwo zeigt sich so deutlich, dass Wunsch und Wirklichkeit der Digitaloffensive auseinanderliegen, wie in Yons Hub: Personal aus der zweiten Reihe, visionslose Strategie, wenig Strahlkraft. Von der Leyens Prestigeprojekt erinnert an eine recht antiquierte Tarntechnik: das Potemkinsche Dorf.

Die Probleme fangen bei der Führung an. Yon hat sich zwar lange in der Start-up-Szene herumgetrieben. Und er ist praktischerweise auch Reserveoffizier – doch was in seiner Biografie so hervorragend klappt, die Vereinigung von Militär und Start-up-Szene, will ihm im echten Leben nicht so recht gelingen. Ein Drittel seiner Mitarbeiter hat er zusammen. Doch ob die Start-up-Szene Yon die Bude im Sommer einrennt, um auch die weiteren Stellen zu füllen oder den dringend nötigen Austausch zwischen Bürokratie und Gründern zu befeuern?

Ein bekannter Investor, der aus seiner Zeit bei Rocket Internet über beste Kontakte nach Berlin verfügt, ätzt: „Wie Karl Lagerfeld einst über Heidi Klum sagte: ‚Die kennen wir nicht in Paris.‘“ Und so droht Yon schon mit seinen großen Plänen zur digitalen Aufrüstung der Bundeswehr aufzulaufen, noch bevor er so richtig begonnen hat.

Es passt ins trübe Bild, dass der Ort, an dem Yon einst arbeiten soll, derzeit noch eine Baustelle ist. Im Sommer erst wird der Hub in ein altes Backsteingebäude am Rand von Moabit ziehen. Von der Ecke heißt es seit Ewigkeiten, dass sie der nächste hippe Kiez in Berlin werden wird. Dieses Prinzip Hoffnung gilt auch für die Strategie des Hubs: Bisher ist davon nichts zu sehen, aber Yon glaubt, dass sich das schon bald ändert. Nur ist das realistisch?

Die Bundeswehr will die deutschen Gründer vornehmlich mit Bestellungen von Software aufpäppeln. Das aber ist ein deutlich kleinerer Anspruch, als ihn führende Cyberstreitkräfte wie Israel oder gar die USA haben. Das US-Militär hat schon vor 15 Jahren einen Risikokapitalfonds aufgelegt, um Start-ups zu fördern. Ähnlich wie der dortige Geheimdienst, der so dem Big-Data-Dienstleister Palantir zu Größe und sich selbst zu Einfluss verholfen hat. Der deutsche Hub soll es dagegen nur mit IT-Einkauf versuchen.

„In der Softwarewelt hat man die Chance, eine neue Technologie in einem definierten Bereich zu testen und die weitere Entwicklung nach eigenen Bedürfnissen mit zu prägen“, betont Yon. Damit sei auch den Start-ups gedient, die so zu einem renommierten Referenzkunden und vor allem zu Umsatz kämen. Denn das, gibt sich Yon überzeugt, sei für deutsche Gründer inzwischen eine viel größere Hürde als die Anschubfinanzierung.

Die Zeiträume, in denen Aufträge vergeben werden, seien für ein Start-up, das schnell Geld braucht, schlichtweg zu lang, erklärt Yon seine Strategie weiter. Wenn Gründer Glück haben, stellen sie Kunden just in dem Moment ihre Idee vor, wenn bei dem gerade eine Neuanschaffung ansteht. Wenn sie Pech haben, müssten sie drei Jahre warten. Und bei einer Behörde seien es eher fünf, mitunter auch zehn Jahre, sagt Yon. „Ein echter Mehrwert wäre es, die Entscheidungsprozesse auf wenige Monate zu reduzieren.“ Dann verweist er auf das amerikanische Vorbild Defense Innovation Unit Experimental. Das rühmt sich, Start-ups maximal 31 Tage auf eine Entscheidung aus dem Verteidigungsministerium warten zu lassen.

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