Einblick

Deutschland braucht eine Klammer, um den Zusammenhalt zu stärken

Wiedereinführung der Wehrpflicht? Ein Freiwilligendienst wäre ein besserer Beitrag für den inneren Zusammenhalt, der gelitten hat.

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Ein junger Mann legt seine Hand auf den Rücken eines älteren Mannes. Quelle: dpa

Da kommt was durch die Hintertür. Soll die Wehrpflicht, nur wenige Jahre nach ihrer faktischen Abschaffung 2011, nun wieder eingeführt werden? Die Spekulationen dazu tobten schon heftig, bevor das Bundeskabinett das neue Konzept zur zivilen Verteidigung am Mittwoch beschlossen hat. Tatsächlich dreht es sich darin auch um „Einberufungs- und Leistungsbescheide bei Wiederaufleben der Wehrpflicht“. Der Generalplan für den Ernstfall geht also davon aus, dass im Falle des Falles auch Zivilisten zur Unterstützung der Streitkräfte eingezogen werden können.

Die politische Diskussion, die daraufhin vom Zaun gebrochen wurde, ist ein Paradebeispiel für die simpelsten Reiz-Reaktions-Schemata im politischen Geschäft – und das ist schade. Man kann zu Recht darüber streiten, ob Andeutungen zur Wiedereinführung der Wehrpflicht als politisches Signal in diesen Zeiten nicht Ängste schüren, die längst ausreichend vorhanden sind. Aber dass niemand mal einen Schritt weiterdenkt, das ist mager.

Das Konzept des Innenministers will die Gesellschaft im Ernstfall absichern. Dazu sollte jede Bürgerin und jeder Bürger einen Beitrag zu leisten bereit sein. Aber warum eigentlich nur im militärischen Ernstfall? Haben wir nicht längst den zivilen Ernstfall? Den Zustand, in dem der Zusammenhalt der Gesellschaft, die Bindung zwischen Bürgern und Staat so locker und fragil geworden sind, dass man selbst für den Normalfall von nichts mehr ausgehen kann?

Deutschland braucht dringend eine Klammer, um den inneren Zusammenhalt und das Gemeinwesen zu stärken. Nicht über die Wiedereinführung der Wehrpflicht, sondern über einen einjährigen Sozialdienst, den jeder erbringen muss, der in unserem Land lebt. Deutsche ebenso wie Migranten, Frauen ebenso wie Männer, Jüngere ebenso wie Ältere. Die Bundeswehr kann ein Einsatzfeld sein. Aber auch in Unternehmen, die einen Beitrag für die Gemeinschaft leisten, kann Dienst getan werden. In der Unterstützung von Start-ups, im Umweltdienst, im Sport, in der Verkehrssicherung, in der Forschung, natürlich auch in Krankenhäusern, Pflegeheimen und Museen.

Das ökonomische Gegenargument ist bekannt: Billige Zivis nehmen den ordentlich bezahlten Kräften die Arbeit weg und drücken die Löhne. Viel teurer kommt es Deutschland aber, wenn Staat und Bürger sich weiter entfremden. Das Sicherheitsgefühl der Deutschen und ihr Vertrauen sind gestört – durch die Flüchtlingsfrage, die Niedrigzinspolitik, die Staatsschuldenkrise die Bedrohung durch Terrorismus. Lässt sich die deutsche Gesellschaft dadurch auseinanderdividieren, haben es die äußeren Feinde sehr viel leichter, Schaden anzurichten.

Seit 2011 gibt es den Bundesfreiwilligendienst, der Wehr- und Zivildienst abgelöst hat. Aber eben auf freiwilliger Basis. Auf einen verfügbaren Platz kommen bis zu zehn Bewerber. Zeigt das nicht, dass der Wunsch nach einem Beitrag zum Gemeinwohl bei vielen jungen Menschen vorhanden ist? Die Generation der Totalindividualisten wird wieder abgelöst von denen, die lieber gemeinsam etwas auf die Beine stellen und nicht nur an der eigenen Turbokarriere interessiert sind.

Richtig wäre, diesen Trend in einem Freiwilligendienst aufzugreifen. Der beste Zivilschutz beginnt bei den Menschen, die ganz einfach begreifen: Der Staat, das bin auch ich.

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